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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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deshalb sitze ich gerne neben ihm und rauche eine. Täglich.
    Connie, die entfernte Freundin aus Pùerov, erzählt meiner Mutter am Telefon, dass die Tür von unserer Wohnung aufgebrochen und mit einem Schild versiegelt worden sei, auf dem »Eintritt verboten. Kripo Pùerov« steht. Das Schloss sei mit einem rot-weißen Band zugeklebt, es sehe ganz gespenstisch aus. Sie habe es selber gesehen, zusammen mit vielen anderen Schaulustigen. Es würden jetzt schon Legenden über uns entstehen, manche sagen: »Wieder Mutige, die es gewagt haben«, andere sagen: »Ach, die landen im Bordell! Da geht es anders zu« oder: »Ach, die kommen zurück und stehen dann auf der Straße.«
    Allerlei sei zu hören.

WIR ARBEITEN UNS SCHEINHEILIG NACH OBEN
    Nach zwei Monaten wird uns ein neues Zimmer zugeteilt. Eine Familie zieht aus, wir haben Glück. Es ist ein winziges Zimmer im obersten Stock. Ohne Kakerlaken, im Asylantenlager gibt es keine Kakerlaken. Keine gesehen. Das stark überstehende Dach, im Stil der bayerischen Berghütten, macht das Zimmer absurderweise dunkel. Es stört mich nicht, wir haben unsere Ruhe, und das ist das Wichtigste. Das Zimmer ist leer, die Vorgänger haben alles mitgenommen, daher machen wir uns auf die Suche nach Sperrmüll. Unsere Nachbarn, eine tschechische Familie aus Kladno, beraten uns fantastisch. So beschaffen wir uns innerhalb kürzester Zeit zwei alte Matratzen, einen braunen Cordsessel mit orangefarbenen Streifen, wahrscheinlich aus dem Jahr 1974 (jemand hat auf die Außenseite der Rückenlehne diese Zahl geschrieben). Ein Holztischchen, einen Farbfernseher, der allerdings zu groß für das Zimmer ist, und zwei Stühle. Jedes Mal wenn ich das Zimmer betrete, fühle ich mich von dem Fernseher erschlagen. Ein Kühlschrank, Schränkchen, Teppich und Gardinen (kotzhässlich, aber Mama steht drauf) kommen peu à peu dazu. Geschirr und Kleidung holen wir uns bei der Berchtesgadener Caritas-Stelle. Im Vergleich zur Polyesterkleidung aus Pùerov, die wir immer noch tragen, sind die Klamotten von der Caritas gar nicht so schlecht. Hätte Emilka so ´nen Fummel auf dem Parkplatz in ihrem Kofferraum feilgeboten, wären wir begeistert gewesen und hätten eine Menge Geld dafür ausgegeben.
    Ich kaufe mir einen Kassettenrecorder von Maria. Sehr günstig. Sie hat alles im Sortiment und falls nicht, schafft sie es schnell herbei.
    Wir wohnen allein. Herrlich. Alles, was wir mittlerweile besitzen, ist traumhaft. Es ist traumhaft, aber der Traum hat einen Haken. Wir können ihn niemandem zeigen, niemand wird je erfahren, was wir mittlerweile besitzen, und somit ist es wertlos. Es ist mir fremd, dass mir Dinge auf einmal gleichgültig sind, weil sie hier in Deutschland jeder hat. Niemandem kann ich meine neue Kleidung präsentieren, jeder trägt sie hier. Ich höre die neueste Musik, jeden Song von Anfang bis Ende, der Empfang im Radio ist großartig und ich kann mich nicht mit meinen Freunden daran erfreuen. Keine Trubka kommt vorbei und bewundert den tollen Sound, kein Pavel ist hier, um meinen ersten Stringtanga zu sehen, und keine Klassenlehrerin tadelt mich, wenn ich eine ausgefallene Jeans trage, um die sie mich insgeheim beneidet. Das Ganze ist merkwürdig verdreht.
    Wir haben einen Schlüssel für unser Zimmer. Das ist wichtig. Nichts anderes.
    »Hallo, Trubi, ich bin’s, Lenka.«
    »Hallo, wie geht’s?«, sagt sie, als hätten wir uns erst gestern gesehen.
    »Super«, presse ich wehmütig zwischen den Lippen hervor. »Und dir? Was treibst du?«
    »Die Schule hat wieder angefangen, das ist ätzend«, antwortet Trubka.
    »Was gibt es Neues? Erzähl. Ich will deine Stimme hören.«
    »Drobina ist nicht mehr mit Vrata zusammen.«
    »Ach, war sie mit ihm zusammen? Das weiß ich gar nicht.«
    »Du bist gerade weggegangen, als sie mit ihm zusammenkam.«
    Ich zähle nach, die Monate, die Ewigkeit, die ich weg bin. Ich bin schon ein Vierteljahr weg von zu Hause. »Ja«, sage ich dann.
    »Ich habe ein Kind abtreiben müssen.«
    Sie macht ihrem Spitznamen alle Ehre, trompetet einfach solche Dinge heraus. Wie typisch für sie. Es überrascht mich nicht, dass sie ein Kind abgetrieben hat.
    »Warum passt du nicht auf?«
    »Ich verstehe es auch nicht, er hat ihn rausgezogen. War also sicher.«
    »Du kannst dich doch nicht von jedem Arsch vögeln lassen. Du wirst immer schwanger!«
    »Wieso, ist doch erst das dritte Mal.«
    »Hm …«
    »Der war lieb.«
    »Trubi … Dir kann man nicht helfen. Jetzt ist er weg, oder

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