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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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so vergnügt, dass auch wir mitgerissen werden.
    »Schaut, es gibt so vieles in den Regalen, die merken das gar nicht! Und von allem mindestens tausend Stück«, murmelt Jasna dümmlich vor sich hin.
    »Was geht die Karstadtchefs ein Lippenstift an!«, jubelt Mutter und zieht dabei kräftig an einer Zigarette.
    »Nichts, Nado! Natürlich nichts! Puh, die haben so viel Asche, die verdienen nichts anderes! Wir müssen es sogar tun! Wir sind so was wie Freiheitskämpfer, Nado!«, redet sich Maria in Rage.
    »Ja! Wir sind Freiheitskämpfer!«, schreit Mutter laut und hält den Lippenstift in die Höhe wie Che Guevara einst seine Waffe.
    Das ist unsere Devise. Damit lässt es sich ohne schlechtes Gewissen leben. Sie haben so viel in den Regalen, sie merken das gar nicht. Und Geld haben sie auch, und wir nicht. Und wir wollen auch haben, haben, haben. Wir wollen auch ein Stück vom Kuchen abbekommen. Niemand wird es erfahren.
    Die Gegenstände haben auf einmal einen anderen Wert. Nämlich keinen. Man erfreut sich weniger daran, sie zu gebrauchen, als vielmehr daran, sie zu »erobern«. Der Kitzel des »Eroberns« ist es, um den es geht. Um die Freiheit, das zu tun, wozu man Lust hat, sich die Glitzerwelt aus den Schaufenstern nach Hause zu holen.
    »Im Karstadt zu stehlen ist allerdings keine einfache Sache«, erläutert Maria. »Dort gibt es eine Menge getarnte Detektive. Ich kenne sie. Sie verraten sich leicht. Die Detektive. Immer wieder verschwinden sie hinter der Tür, die nur für das Personal des Kaufhauses ist. Dann rauchen sie eine oder essen etwas, was ich daran erkenne, dass sie danach Essensreste zwischen ihren Zähnen entfernen. Und wenn sie von der Toilette kommen, kontrollieren sie unauffällig den Hosenbund. Ich kenne sie so gut, Nado. Und sie sind oft weg, sie müssen immer wieder auf den Parkplatz abhauen, Luft schnappen, sie langweilen sich entsetzlich, die Detektive. Außerdem kaufen sie nichts, sie schauen sich die Ware nicht wirklich an. Sie täuschen das Kaufen vor, aber schlecht. Nein, gute Schauspieler sind sie nicht, Nado. Im Grunde genommen sind wir die Beobachter und sie unsere Beobachtungsobjekte. Ihre Gesichter brennen sich in unser Gedächtnis ein, wie eine lebenswichtige Information. Nach Jahren werde ich immer noch jeden einzelnen Detektiv auf der Straße erkennen. Das sage ich euch. So genau beobachte ich sie. Manchmal merken wir, dass uns einer im Visier hat, dann legen wir eine Pause ein und verlassen das Haus ohne Beute. Wir kommen allerdings wieder. Mit einer anderen Haarfarbe.«
    Maria lacht über ihren eigenen Witz. »Die eingebauten Kameras stellen ein weiteres Problem dar, das professionell beseitigt werden muss. Sie hängen an heimtückischen Stellen, sehen aus wie Feuermelder oder wie diese fiesen Blitzgeräte bei Radarkontrollen. Doch selbst diese Art von Technik kann uns nicht überlegen sein. Wir kennen sie. Nicht alle Ecken des Kaufhauses sind von den Bildschirmen der Kontrolleure aus zu sehen, die in den miefigen Kabuffs sitzen und sich die Augen ruinieren, in der Hoffnung einen Dieb zu erwischen. Nein, da nehme ich einfach von der Stange, was ich will – das ist schließlich erlaubt –, trage es an einen anderen, sicheren Ort und packe dort die Ware in den Sack. Große Menschenmengen eignen sich sehr gut dazu, sie sind unübersichtlich, ich kann richtig schön untertauchen und wortwörtlich vor den Augen anderer Käufer einsammeln, was mir bald gehören wird. Die Kunden sind mit ihren Köpfen auf das Kaufen und den Konsum fixiert, sie sehen nur das, was sie sehen wollen, und sind einfach abzulenken.«
    Mutter und ich sind paralysiert. Schweigsam schlürfen wir unseren Ramazotti, Mutter raucht eine nach der anderen, und Jasna liegt wie ein Walross auf dem Bett.
    »Das dritte Hindernis, das überwunden werden muss, sind Piepser und Farbstreuer. Aber auch damit können wir umgehen. Steckt ein Piepser in der Naht oder an einer Stelle, die zu reparieren ist, schneide ich den kleinen Racker aus dem Stoff heraus. Das geschieht natürlich in der Umkleidekabine. Ist der Piepser an einer ungünstigen Stelle, schaue ich erst mal, welche Art von Piepser es ist, denn manche kleine Metallstreifen piepsen nicht. Die müssen nicht mal abgerissen werden. Ihre einzige Aufgabe besteht darin, den Dieb abzuschrecken, sonst nichts. Die sammele ich hier in meiner Dose.«
    Sie lacht und holt einen Schuhkarton hervor, der voll von den schmalen Metallstreifen ist. »Daraus bastele ich später ein

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