Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
Vom Netzwerk:
Er sieht aus wie ein aufgeblähter Petticoat aus den Fünfzigern, sie geht so breitbeinig, als hätte sie gerade in die Hose gemacht.
    Wir führen ein anderes Leben, machen Fehler, gewiss. Das Stehlen wird zur Gewohnheit. Es verwandelt sich in eine Sucht, auch wenn ich mir immer wieder vornehme, dass es das letzte Mal ist. Ich mache dennoch weiter. Wie mit dem Rauchen. Der Schweiß, den wir ausdünsten, riecht unangenehm nach Angst. Wir kommen nach jeder Aktion klitschnass nach Hause. Es macht immer weniger Spaß, und wir werden fahrlässig.
    Es geht nicht lange gut.
    Maria wird erwischt und von Polizeibeamten ins Lager gebracht. Sie hatten sie schon länger auf dem Kieker. Es heißt, sie soll ausgewiesen werden.
    Unsere Nerven liegen blank. Sie hält ihre Schnauze. Von wegen Che Guevara. Nichts davon. Kleine Mäuschen. Die Heldentaten stellen wir sofort ein. Das schlechte Gewissen kommt, aber nicht der Gesellschaft wegen, sondern wegen der schlechten Energie, die wir mit uns rumschleppen. Wie ein fauliger, übel riechender Furz aus dem schwärzesten Weltarsch. Maria leert ihr Zimmer innerhalb einer Woche. Wir verbrennen unsere Säcke. Jasna fährt mit ihrem Baby nach Hause. Arme Maria.

DIE NUMMER ZWEI STEHT AUF DER LISTE
    Im Lager ändert sich die Besetzung Tag für Tag. Es tauchen neue Gesichter auf, andere verschwinden und kommen nicht wieder oder lassen sich monatelang nicht blicken und sind auf einmal wieder da. Wo sie waren, wenn sie nicht da waren, weiß ich nicht.
    Mama feiert ihren Vierzigsten. Sie will ihn im engsten Kreis feiern. Aus Sparsamkeitsgründen. Geht aber nicht. Es spricht sich schneller rum, als ich es für möglich gehalten hätte. Ununterbrochen klopft es an der Tür. Die Bude ist voll. Allerlei Menschen statten uns auf einmal einen Besuch ab, obwohl wir mit ihnen nicht das Geringste zu tun haben. Schmarotzen wollen sie. Umsonst wollen sie an unseren billigen Sekt rankommen und sich besaufen. Uns unsere Salzstangen und unser Müsli wegknabbern.
    Unter all den Pseudofreunden sind auch zwei Jugoslawen. Sie werden von einigen Landsleuten euphorisch begrüßt, ihre Abwesenheit im Lager muss lange gedauert haben, ich sehe sie zum ersten Mal. Es sollen entfernte Verwandte von Maria sein, Maria hat offensichtlich unzählige Verwandte. Der eine fällt mir auf. Er fällt mir wortwörtlich ins Auge. Es gibt im Zimmer ganz offensichtlich einen dicken nackten Engel, der sich über mich lustig macht und auf mich zielt. Auf mein Herz. Treffer. Der Typ scheint der Anführer einer trinkfesten Gruppe zu sein. Ein paar Männer, die irgendwelche gemeinsamen Sachen unternehmen, was weiß ich. Geheim tun sie, kommunizieren mit den Augen, als wäre man ein Idiot.
    Ich kenne diese Art Kommunikation von früher. Jungs unterhalten sich so und machen sich wichtig. Mir imponiert es nicht, ich finde es peinlich. Er, der Anführer, sieht gut aus. Er ist so Ende 20, trägt auf dem Kopf wunderschöne braune Korkenzieherlocken, wie eine Perücke. Und er weiß genau, wie er sich Frauen gegenüber verhalten muss. Ein Charmeur. Mich durchströmt ein warmes Gefühl, wie ein Blitz, wie ein Ohnmachtsanfall. Ich bringe kein Wort heraus, sitze schüchtern auf meinem Platz, konzentriere mich darauf, nichts Falsches anzustellen oder zu sagen, und ärgere mich, dass ich ausgerechnet an diesem Abend nicht geschminkt und schick angezogen bin. Ich ärgere mich, dass ich so denke und empfinde.
    Marian heißt er. Er spürt meine Unsicherheit sofort – der Wachsame. Machos merken so was. Machos sind in dieser Beziehung talentiert. Er schaut mich mehr als oft an, fordert mich ständig auf, etwas zu meinen, zu sagen, neckt mich, lächelt mir süß zu. Ich schmelze wie Wachs. Seine blauen Augen lassen mir den Appetit vergehen, obwohl ich so gerne esse. Dafür gieße ich Unmengen an Alkohol in mich hinein, zum Ausgleich vielleicht. Gott sei Dank passt das Geburtstagskind auf mich auf und nimmt mir alle Gläser aus der Hand. Leider auf ihre forsche Art.
    »Lenka! Was soll das denn bedeuten! Du bist noch keine 18, du wandelnde Katastrophe!«, brüllt sie laut.
    Sie ist selber besoffen, hat kein Feingefühl. Sie verrät mein Alter. Sie entlarvt mich, meine blöde Mutter. Ich bin noch nicht 18, noch nicht volljährig, noch keine wirkliche Frau. Ich bin nur ein verpickeltes »Dazwischen«. Und sie ruft es wie ein Fischweib auf dem Jahrmarkt. Wie soll ich bei so einem Mann bestehen! Wie soll ich so einem gefallen, wenn ich nicht mal ein Bier trinken

Weitere Kostenlose Bücher