Paradiessucher
Hinrichtung fährt, und das ganze Berchtesgadener Land schaut zu. Unfassbar. Mir werden hilfreiche Tipps aufgedrängt.
»Fahr nicht, sie erwürgt dich! Nimm mein Messer mit! Sie fährt mit dir gegen einen Baum! Lass Marian mitfahren. Sei in zehn Minuten zurück, ich schaue auf die Uhr.«
Der helle Wahnsinn. Mutter, mit Tränen in den Augen, winkt mit einem Taschentuch, als solle ich in den Vietnamkrieg ziehen. Ich steige ein.
»Fahr.«
Christa quatscht mich voll, ich kapiere nichts. Sie weint gelegentlich. Dann versucht sie es mit Englisch, das ist noch schlimmer. Mein ohnehin schlechtes Englisch habe ich in den letzen fünf Monaten vergessen. So werde ich nie erfahren, was sie mit mir besprechen wollte, eigentlich schade, es hätte mich interessiert.
Wir kehren eine halbe Stunde später zurück, sie mit Tränen in den Augen, aufgelöst, ich erleichtert, dass sie mich doch nicht ermordet hat. Die Schaulustigen warten bereits. Dass sie nicht klatschen, ist ein Wunder. Marian steht ebenfalls, wie ein Stier, vorne in der Gruppe und beobachtet uns. Ich steige aus dem Wagen, ebenso die zerbrechliche Christa, die wahrscheinlich mit Marian noch ein Hühnchen rupfen möchte, keine Ahnung, was sie vorhat.
Marian kommt uns energisch entgegen und schlägt Christa mit der Hand kräftig ins Gesicht. Ich bin erschüttert, ziehe mich zurück. Ein Gewitter von Beschimpfungen und Beleidigungen folgt. Zwei Hyänen gehen aufeinander los, und keiner mischt sich ein. Warum helfe ich ihr nicht? Ich weiß es nicht. Es fließt noch kein Blut, wahrscheinlich deshalb. Außerdem tut sie mir nicht leid. Meine Mutter zieht mich an sich, fragt mich, ob noch alle Organe an mir dran sind und ähnlichen Blödsinn.
Warum glotzen alle nur? Findet sich niemand, der Marian aufhalten kann? Keiner, der den Streit beendet? Das geht nicht in meinen Kopf rein, denn Christa sieht elend aus. Ich hasse die beiden, ich hasse die Schaulustigen, ich hasse auch mich.
Marian packt Christa an der Hand und geht mit ihr zum See. Sie sind so laut und hysterisch, dass man sie noch lange hört.
Das Thema »Marian« ist hiermit für mich abgehakt. Ich verliere die Achtung vor diesem Mann und meine Liebe zu ihm. Er versichert mir, dass Christa nie wieder auftauchen wird, bombardiert mich mit heißen Liebesschwüren, dennoch trenne ich mich von ihm.
Er widert mich an.
SPRECHENDE BANANENSCHALE & CO.
Liebe Nadja und Lenka,
Oma geht es schlecht, und Ben wurde letzte Woche eingeschläfert.
Onkel Jarek.
Das steht im Telegramm.
Meine Mama schluckt und sucht sofort Hilfe bei Herrn Smrçek. Dem Heiler aus dem Asylantenlager.
»Herr Smrçek, helfen Sie mir, ich bin so depressiv, ich kann nicht mehr, meiner Mutter in Pùerov geht es schlecht, sie spuckt alles aus, was sie isst, und ich kann ihr nicht beistehen. Ich kann ihr aus der Entfernung zusehen, wie sie stirbt«, fleht meine Mutter Herrn Smrçek an.
Herr Smrçek schaut sie liebevoll an, hält inne, bietet ihr ein Glas Wasser an.
Mutter betritt sein Zimmer, ich bleibe draußen. Ich würde zu gerne wissen, was er mit ihr macht. Mutter erzählt wenig, als sie mit einer ungeöffneten Flasche Mineralwasser wiederkommt. Sie sagt, dass es toll sei, mit ihm zusammen zu sein, es gehe ihr jetzt besser. Großmutter hingegen kann niemand mehr helfen. Das Wasser trinkt Mutter zweimal am Tag in langsamen Schlucken. Ich darf nichts davon kosten, es ist für sie bestimmt.
Ich möchte auch Herrn Smrçek kennenlernen. Deshalb schließe ich mich den Kindern vom Lager an, denn Herr Smrçek und Kinder bilden eine Art Symbiose.
»Halte die ungeschälte Banane an deine Brust.«
Herr Smrçek macht es vor. »Genau so.«
Er lächelt ständig, wahrscheinlich kommen die vielen Lachfalten in seinem Gesicht daher. »Halte sie fest in der Hand. Strecke den anderen Arm aus. Waagerecht ausstrecken.«
Ich tue es. Die Kinder, die sich um uns herumdrücken, kreischen vor Aufregung.
»Wenn dir diese Banane, so wie sie ist, guttut, gesund für dich ist, dann wirst du in dem ausgestreckten Arm Kraft haben. Ich werde ihn keinen Millimeter runterdrücken können«, sagt er mit seiner schwachen, belegten Stimme.
Eine Frau kommt, ohne anzuklopfen, herein und ruft ein Kind zur Brotzeit. Das Kind will auf keinen Fall gehen, hat keinen Appetit auf eine Radieschenstulle, es will dableiben. Seine Mutter zerrt es aus dem Raum. Der Kleine wehrt sich verzweifelt, muss aber die Hochspannung bei dem Zauberer sausen lassen.
»Herr Smrçek, Sie sind
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