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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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stöhnen, weinen oder merkwürdig singen. Manchmal gibt es Streit, von der schlimmen Art. Der Vater riecht extrem nach Schweiß, eine Badewanne scheint er nicht zu kennen. Und der Alkohol hält ihn fest im Griff.
    Herr Smrçek darf sie besuchen, um mit ihnen zu sprechen. Sonst niemand. Aber auch er schweigt wie ein Grab. Nur er kennt ihre verborgene Vergangenheit. Oder ihre Ängste. Eine dubiose Familie.

ES IST AN DER ZEIT, DAS WORT »LANDRATSAMT« ZU LERNEN
    Eigentlich finde ich es schade, dass ich die Zeit im Lager, die Zeit des Wartens, nicht sinnvoll nutze. Die Belanglosigkeiten, mit denen wir uns tagelang beschäftigen, nehmen kein Ende, und ich werde das Gefühl nicht los, Lebenszeit zu verlieren. Kurz vor dem Abitur bin ich weggegangen und habe keinen anständigen Abschluss geschafft, in Deutschland habe ich also nichts vorzuweisen, ich bin ein Nichtsnutz. Ein Parasit der Gesellschaft. Mama stört es weniger, sie hat in ihrem Leben so viel gearbeitet, sie ist froh, eine »Oficína«-Pause einzulegen. Mich lässt es nicht schlafen, ich fürchte, in der Gosse zu landen, wenn das Schicksal entscheidet, dass wir in Deutschland bleiben dürfen. Bei den älteren Flüchtlingen spielt die Zeit vielleicht nicht so eine große Rolle …
    Wie eingebildet. Ich denke mir einen Mist zusammen! Natürlich spielt es für sie eine Rolle. Umso mehr. Sie haben nicht mehr so viel Zeit wie ich. Allein die fremde Sprache ist im fortgeschrittenen Alter nur noch im Zeitlupentempo zu erlernen, das ist nicht zu unterschätzen. Ich sehe es bei meiner Mutter. Im Lager lernt niemand Deutsch.
    Nun bin ich weder Schauspielerin noch Tänzerin, ich bin ein Nichts, ein Teenager ohne Abitur, der nichts kann, nichts gelernt hat und keine Perspektiven hat. An die Schauspielerei zu denken, wage ich erst gar nicht. Dieser Traum ist aufgrund der Sprachbarriere endgültig wie ein Wölkchen verflogen. Um dem Dilemma etwas entgegenzusetzen, mache ich mich auf den Weg nach Berchtesgaden, zum Landratsamt.
    »Gute Tag, liebe Herr, ich habe Frage.«
    Der Satz klingt, nachdem ich nähere Bekanntschaft mit der Holzbestuhlung der Abteilung für Ausländer-Angelegenheiten geschlossen habe, etwas künstlich. Diese Warteräume sind erstaunlich voll, als gäbe es in Oberbayern mindestens zehn Lager wie das unsere. Weshalb man sich die Mühe gemacht hat, sie so unwürdig und scheußlich einzurichten, ist mir auch nicht ganz klar.
    »Grüß Gott.«
    Der Herr wäre bestimmt daran interessiert, mich, die gerade in sein Büro eintritt, offiziell und anständig zu begrüßen, doch seine Beamtengesetze – er kann ja nichts dafür (in der Tschechoslowakei ist es das Gleiche) – erlauben es ihm nicht, mich wahrzunehmen. Um kompetent zu wirken, muss er Oberwasser behalten. So schaut er, wie üblich, weiter in seine Unterlagen, und ich fühle mich wie Luft.
    »Fragen Sie, dafür bin ich da«, sagt er unglücklicherweise in so starkem Bayerisch, dass mir der Sinn des Satzes entgeht. Ich errate aber, was er sagt, und nicke wie ein Dummchen.
    »Ich mächte gehen in Schule. Mein Name ist Lena Hróz.«
    Was, unter uns, nicht stimmt, in Wirklichkeit heiße ich, Hrózová, und auch mein Vorname lautet nicht Lena, sondern Lenka, aber was tut man nicht alles für die Integration in die neue Gesellschaft. Möglichst deutsch soll mein Name klingen, das ist mein höchstes Ziel.
    »Bitte, ich mächte wie Gast in Schule hären. Ich bin in Asillantelager in Känigsä, und ich mächte in Schule hären wie Gast. Mächte deutsche Sprache lernen.«
    In diesem Augenblick erbarmt sich der glatzköpfige ältere Herr, von dem Mutter sicher sagen würde: »der hat aber einen ganz kleinen«, und hebt den Kopf.
    »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«
    Zumindest setzte ich mir den Sinn seiner Worte so zusammen, vielleicht sagt er auch etwas völlig anderes.
    »In Schule hären!«
    »Hören?«
    »Ja, hären.«
    »Sie können nichts in einer Schule hören«, antwortet er verzweifelt.
    »Ja! Ich kann! Ich mächte mit andere Schuler zusammen deutsche Sprache lernen!«
    »Ach lernen?! Sie meinen lernen? Das ist was anderes.«
    Dann brummt er ganz unverständlich vor sich hin, während er noch ein Blatt Papier abstempelt. »Ich hab was total anderes verstanden … hören in einer Schule, hab ich verstanden …«
    »Ja, hären!«, sage ich.
    »Hier in der Gegend ist keine Sprachschule für Ausländer und außerdem – solange Sie kein Asyl haben, ich gehe davon aus, dass Sie kein Asyl haben, solange

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