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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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anzuziehen.
    »Sie fährt mit dir irgendwohin … und was weißt du, was sie mit dir vorhat!«
    Ihre Stimme zittert absurd.
    »Nein, sie ist unglücklich, sie möchte nur mit mir reden.«
    »… und dann bringt sie dich im Wald um.«
    »Mama, sie ist einen Kopf kleiner als ich.«
    Ich ziehe mich weiter an.
    »Und wenn sie eine Pistole dabeihat?
    »Oh Gott, Mutter, du spinnst, warum sollte sie das tun!«
    »Ich kenne solche verrückten Frauen!«
    »Ich nicht! Und da bin ich froh drüber!«
    »Du bist auch erst ein Furz!«
    »Ich bin kein Furz, ich bin siebzehn!«
    »Sie verschleppt dich irgendwohin …«
    Sie schweigt eine Weile, ich sage ganz leise: »Wahrscheinlich ist sie eh schon weg. Mama, bitte.«
    Wir stehen eine Weile so da. »Bitte, vertrau mir.«
    Dann sagt sie weinerlich: »Ich komme aber mit runter.«
    »Na gut, von mir aus. Wie peinlich!«
    Mutter hat Talent für Peinlichkeiten, das muss man ihr lassen. Bei meinen ersten pubertären Ausflügen in eine lächerliche Disco wartete sie regelmäßig um Punkt 21 Uhr vor dem Ausgang, um mich abzuholen. Dabei war abgemacht, ich solle um halb zehn eigenfüßig nach Hause kommen. Die Disco war einen Katzensprung von unserer Siedlung entfernt, eigentlich nur eine Straße weiter. Sie wartete rauchend, spähte wie ein Lux, genau am Ausgang, da, wo sie von allen gesehen werden konnte. An den kleinen gelben Fiat gelehnt, war ihre Silhouette in der Dunkelheit deutlich zu erkennen. Warum sie mit dem Auto kam, ist mir bis heute nicht klar. Aus Angst? Pùerov ist »extrem« gefährlich. Wir stritten laut. Sie fütterte mich mit dubiosen Gründen.
    »Ich hole dich ab, damit du nicht den ganzen Weg zu Fuß gehen musst. Sei doch froh, dass ich für dich den Taxifahrer spiele. Ich hab eh nichts zu tun. Es macht mir doch Freude. Ich möchte wissen, mit wem du zu tun hast. Mit der Clique will ich dich nicht wieder sehen. Dankbarkeit erwarte ich nicht mehr von dir.« Und so weiter. Danach heulte sie. Die Nummer mochte ich am liebsten.
    Ich denke an meine Großmutter. Die Peinlichkeit Nummer zwei. Ich war fünfzehn. Eine entfernte Verwandte, Frau Gabrlíková, die ich trotzdem als Tante bezeichnete, hatte im Pùerover Stadttheater »Schneewittchen und die sieben Zwerge« inszeniert. Sie gab mir die Hauptrolle, und ich durfte auf einer großen Bühne stehen. Wie ein Profi. Ich trug ein hübsches Kleid aus weißem Satin, die Haare aufgedreht wie eine Barbie-Puppe, mit einer roten Schleife geschmückt, und das verpickelte Gesicht mit Tonnen von Theater-Make-up ebenmäßig eingekleistert. Meine Großmutter, eine große und vor allem dicke Frau, saß zwischen meiner Mutter und meinem Großvater in der ersten Reihe. Die Vorstellung war für Kindergartenkinder gedacht. Außer ein paar Erzieherinnen war weit und breit kein Erwachsener zu sehen. Das arme Kind, das hinter meiner Großmutter saß, hat von der Vorstellung bestimmt nichts mitgekriegt. Oma frisiert sich hoch. Sie hat zwei Frisurenvarianten. Den hochtoupierten wilden Kegel und den breitgeratenen Helm. Beide trägt sie mit Stolz und Überzeugung. Für diesen Tag hatte sie sich den Helm gemacht.
    Ich konnte mich kaum auf meine Rolle konzentrieren, weil ich ständig diese Frisur aus dem Augenwinkel sah. Ein Ballon. Ich dachte an das kleine unruhige Kind hinter dem Ballon und bemitleidete es. Als die Vorstellung zu Ende war und die Kinder noch nicht begriffen hatten, dass sie jetzt klatschen sollten, stand meine Großmutter bereits. Als Einzige. Sie applaudierte majestätisch mit hoch erhobenen Armen, drehte sich immer wieder um, um dem Publikum zu signalisieren, dass sie und ich zusammengehören. Sie weinte und schrie sogar vor Rührung und Freude. Ich schämte mich. Ich würdigte sie keines Blickes. Lange. Nach diesem Vorfall erteilte ich ihr Theaterverbot, was sie bis heute nicht versteht.
    Das ist eine Weile her. Wenn ich es jetzt mit Abstand betrachte, kann ich mich nicht genug an dieser Erinnerung ergötzen, wie wunderbar es war, eine liebende Großmutter zu haben. Jetzt ist sie so weit weg.
    Ich nehme meine Mutter an der Hand und führe sie mit nach draußen. Sie klammert sich an mich, ihre Hände glühen.
    Christa wartet neben ihrem Kleinwagen vor dem Sporthotel. Um sie herum die gesamte Mannschaft des Asylantenlagers. Sie sind neugierig. Männer, Frauen, Kinder kommen zu der großen Show, alle stehen da, haben nix zu tun, glotzen schaulustig. Offensichtlich wissen alle Bescheid, als wäre ich eine Berühmtheit, die zu ihrer

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