Paradiessucher
ihren Füßen, stellen unsäglichen Gestank dar und krümmen sich vor Lachen. Bei vielen fehlen die Schneidezähne, ein Vogel könnte reinfliegen, wenn es einen Vogel gäbe, und ich weiß nicht, ob ich auch lachen oder ihnen eine Ohrfeige verpassen soll. Andere spielen feine Dame, die zwischen den Beinen stinkt und Ähnliches. Ach, wie albern, denke ich. Sind die albern. Die Gören.
»Schnauze, ihr Bengel!«
»Nein, das wird sie nicht«, kommt mir Herr Smrçek zu Hilfe.
»Ja, aber soll ich mich denn gar nicht mehr einseifen, ich meine am ganzen Körper? Füße? Unter den Achseln und …«
Die intime Stelle lasse ich lieber unausgesprochen, sonst werden die kleinen Halbwüchsigen noch Tage danach ein Heidentrara draus machen.
»Nein, nirgendwo einseifen, es sei denn, du bist schwarz vor Dreck.«
Die kleine Ivanka, die mit dem zischenden S, hält sich die kleinen Händchen vor den Mund und wiederholt das Wort »stinken« immer wieder, damit sie das S in all seiner Vielfältigkeit zelebrieren kann.
»Wie der Schornsteinfeger!«, fügt sie dann piepsig hinzu.
»Ja, genau Ivanko, wie der Schornsteinfeger muss die Lenka schmutzig sein, dann braucht sie eine Seife, ganz sicher.« Die Streicheleinheit von Herr Smrçek kommt pünktlich wie die Kirchturmuhr.
»Stinkt man wirklich nicht?«, frage ich dazwischen.
»Nein.«
Ich folge seinem Rat. Unser Deodorant, die Fa-Seife und das Duschgel werden von nun an von mir abgelehnt. Außerdem: Seit Maria im Knast sitzt, könnten wir nicht einmal eine Stecknadel stehlen, insofern kommt mein Drogerieartikelverzicht nur gelegen.
Die Pickel sind zwar da, aber nicht mehr so aggressiv, na, wie soll ich sagen, nicht mehr so gelb. Die Haut fühlt sich gut an, sie riecht nach mir.
Mama findet es zwar widerlich, seift sich aber auch nicht mehr ein.
»Du hattest vor zwei Jahren einen Unfall«, sagt Herr Smrçek.
»Stimmt.«
Als ich mit fünfzehn in meinem elitären Tanzverein Rock ’n’ Roll tanzte, die Beine um meinen Tanzpartner herumschwang, der dünn wie ein Spagetti war, passierte es. Wie unglaublich, dass mich dieses Streichholz tragen, rollen, fangen und sogar werfen konnte. Aber einmal fiel ich doch aufs Knie. Meinen Tanzpartner »Spagetti« traf keine Schuld, doch er wurde von schweren Gewissensbissen geplagt. Der Fehler lag bei mir. Ich hielt mich nicht an unsere Verabredung und überraschte ihn von der anderen Seite. Ende. Das Knie erholte sich nicht wieder, zumal ich es nicht für notwendig hielt, zum Arzt zu gehen. Rock ’n’ Roll-Wettbewerbe schaute ich mir von da an ausschließlich im Fernsehen an. Auch schön. Danach tanzte ich zwar weiter, aber mit der Akrobatik war es vorbei. Das Knie ist für mich der Seismograf der Gefühle, des Bauches und des Wetters. Geht es mir schlecht, tut das Knie weh.
»Herr Smrçek, das wird nie wieder gut werden.«
»Doch, lass uns mal dein Knie anschauen.«
Herr Smrçek hält mit seinen Kräften nicht nur mein Knie, sondern das halbe Lager in Schach. Hast du Grippe? Husten? Migräne? Hinkst du seit deiner Geburt? Stotterst du? Ab zu ihm. Vor seiner Zimmertür bilden sich Warteschlangen wie in einem Ostblocksupermarkt. Als gäbe es Kakao. Er nimmt alle dran, und keiner muss zahlen, wenn er kein Geld hat. Seiner blassen Frau und dem kleinen, zierlichen Sohn stahl er nachts Energie, die er tagsüber an die Patienten weitergab, wie ein Vampir. Deshalb übernachtet er in seinem Zimmer allein. Auch unsere Chefin ist seine Patientin, da dürfte das mit dem Einzelzimmer kein Problem gewesen sein.
Seine exzellente Fähigkeit, zu heilen (mein Knieschmerz ist binnen weniger Tage verschwunden), spricht sich in der Gegend herum, es stehen mittlerweile nicht nur Albaner, Slowaken oder Tschechen in der Warteschlange, sondern auch Deutsche, sogar Bayern, die, hätten sie keine Not, niemals die Schwelle unseres Asylantenlagers überschreiten würden.
Eine neue Familie landet im Asylantenlager. Zwei Kinder, zwei und vier Jahre alt. Das Mädchen ist zierlich, blass, der Junge hübsch, mit blonden Härchen auf dem Nacken und einer seidenen goldenen Haut.
Sie wirken äußerst verstört und reden mit niemandem. Im Zimmer neben uns sperren sie sich ein, als gäbe es eine Großfahndung nach ihnen. Auf ein »Guten Morgen« antworten sie, wenn überhaupt, nur mit einem Nicken, die Kinder klammern sich ausschließlich an die Eltern und wechseln mit niemandem einen Blick. Manchmal höre ich diffuse Geräusche hinter der Wand, als würde jemand
Weitere Kostenlose Bücher