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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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es also noch offen ist, ob Sie in Deutschland bleiben oder nicht, wäre es für Sie sinnlos, in eine Sprachschule zu gehen. Sonst weiß ich nicht, wie ich Ihnen helfen soll. Wozu? Sie sollen jetzt kein Deutsch lernen.«
    »Ich brauche! Ich verstehe Sie nicht, was sagen, aber Sie verstehe mich auch nicht!«, verteidige ich mich eisern. »Ich mächte in deutsch Gymnasium wie Häregast gehen, nur sitze mit Deutsche Schuler, verstehe? Bitte!«
    Meine Handarbeit zur Unterstützung meines offenbar sehr komplizierten Wunsches führt zu völlig abstrusen Gesten.
    Er schweigt eine Weile. Es gibt wahrscheinlich in seiner dreißigjährigen Sesselerfahrung – und ich nehme Gift drauf, dass er wenigstens dreißig Jahre lang diesen Beruf ausübt – nicht viele Asylbewerber, die eine so absurde, unverständliche und für ihn sinnlose Idee haben, in eine bayerische Schule gehen zu wollen, als Fremder, Gast, Zuhörer, Ufo, als Asylant eben, der sich blamiert, wie ich es vorhabe. Ich finde ihn jetzt ganz nett.
    »Geben Sie mir mal Ihren Namen. Ich werde mir das notieren und fragen, was sich da machen lässt. Das war eine schwere Geburt.« Auch dies verstehe ich nicht genau, es sind erneut Vermutungen, Gefühle, grobe Menschenkenntnis, Charakterbeobachtungen, wie in der Schauspielschule. Sie lassen mich glauben, dass er mich versteht und mir weiterhilft. Ein Abenteuer. Ich fahre alleine mit dem Bus zurück und fühle mich sehr selbstständig. Klug. Mutig. Die wunderschönen, mächtigen Berge glänzen im Sonnenlicht des herbstlichen Mittags, ich kann noch kurze Ärmel tragen, so mild ist es heute. Das macht glücklich.

BOTULIN
    Ein Brief von Jarek liegt an der Pforte. Ich denke, es wird nichts Gutes heißen. Wie immer.
    Liebe Nado und Leni,
    am Anfang meines Briefes möchte ich euch, meine Lieben, herzlich grüßen. Ich hoffe, es geht euch sehr gut und ihr habt in Deutschland Geborgenheit und Glück gefunden. Bei uns geht alles drüber und drunter. Oma musste gestern ins Krankenhaus gebracht werden. Ich weiß nicht, was euch Opa schon erzählt oder geschrieben hat, aber seit ihr weg wart, verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Ich glaube, sie versteht immer noch nicht, was mit euch passiert ist, denn sie fragt jeden Tag nach euch und wartet darauf, dass ihr sie besucht. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Ihr Sehvermögen ist so schlecht geworden, dass sie ein Pflegefall ist, und hätte sie nicht den Opa, müsste sie in ein Pflegeheim. Für einen Menschen, der das Leben lang die gesündesten Augen in seinen Augenhöhlen barg, wie wir es immer nannten, muss das Gefühl der Blindheit unerträglich sein. Selbst die einfachsten Dinge, wie auf die Toilette gehen, sich etwas kochen, essen, sich waschen, einkaufen, sich anziehen usw. sind extrem schwierig für sie. Nun hat sie den Opa, was großartig ist, da ihr nicht mehr für sie da seid. Er ist der Einzige, der sie in den schwierigsten Momenten ihres harten Lebens tröstet. Opa spritzt ihr regelmäßig, d. h. dreimal am Tag, Insulin, eine höhere Dosis als die, die ihr gespritzt habt. Omas Zuckerspiegel ist enorm hoch, womit offensichtlich ihre Blindheit zusammenhängt, ausgelöst durch eure Flucht. Daran lässt sich aber nichts ändern. Vor zwei Wochen fing sie an, nach jeder Mahlzeit ein ungutes Gefühl im Magen zu haben, ein Unwohlsein, was dann dazu führte, dass sie brechen musste. Der Arzt, der viel zu spät kam, gab Oma Medikamente gegen Übelkeit, die allerdings keine Wirkung zeigten, da Oma alles sofort wieder erbrach. Sie trocknete wortwörtlich vor unseren Augen aus, was uns in Sorge und Kummer versetzte. Und als sie so schwach war, dass sie nicht mehr aufstehen konnte, und die Übelkeit nicht mehr aufhörte, obwohl sie nichts aß, erst da entschied der Arzt, sie ins Krankenhaus einzuliefern. Eine unverantwortliche Handlungsweise, denn Oma quälte sich schon seit einer Ewigkeit. Und dann die äußerliche Veränderung! Sie ist nicht mehr wiederzuerkennen. Aus der üppigen, übergewichtigen Frau (wie oft haben wir uns darüber lustig gemacht) voller Kraft, Energie und Vitalität ist ein Gerippe geworden, ein schwaches Häufchen Elend, eine kranke Frau. Dies ist meine Nachricht an euch, und ich wünschte, ich könnte euch eine fröhlichere schicken.
    Eure Jarek und Maria
    Was ist in ihn gefahren? Ist er sauer auf uns, weil er sich nun alleine um Oma kümmern muss? Das würde ich noch verstehen, aber dass er das nicht direkt sagt, sondern uns durch diesen Schwafelbrief ein

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