Paradiessucher
einfach zu schlafen, schlafen wird dir guttun. Du wirkst so mager. Schlaf, Leni!«
Und während ich unwillig den Tee in mich hineinschlürfte, fielen mir die Augen, die ohnehin schon die ganze Zeit um Ruhe flehten, langsam zu und ich schlief fest ein. Ich träumte. Wild und unappetitlich. In der kurzen Zeit, in der ich schlief, träumte ich vom Kotzen. Kotzen, kotzen, kotzen. Ein Meer voll Kotze. Ich wollte brechen, aber es ging nicht.
»Wach auf! Wach auf, Leni! Bitte!«
Ich öffnete langsam und müde die Augen, sehen konnte ich nichts, aber den beißenden Geruch meines Erbrochenen roch ich sofort. Das war so ziemlich das Ekelhafteste, was ich in meinem jungen Leben erfahren habe.
»Leni, du musst kurz aufstehen, ich werde das Bett frisch beziehen. Nein, mach dir nichts draus, das sind nur Sachen, die kann ich wieder waschen, mach dir keine Sorgen, ich wasche sie. Kannst du dich kurz auf die andere Seite des Bettes rollen?«
Es ging nicht, ich war gelähmt, zu schwach. Ich schnappte nach Luft, mit weit geöffnetem Mund. Meine Nase fühlte sich verstopft an, obwohl ich alles riechen konnte.
»O Gott, was ist mit deinem Gesicht?! Leni! Wie siehst du aus? … Deine Nase ist so spitz! Was ist mit deinem Gesicht passiert! Du bist so anders!«
Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, sie bemühte sich auch nicht mehr darum, dafür gab es keine Zeit. »Komm, wir fahren sofort ins Krankenhaus. Wir warten nicht mehr. Es dauert ja eine Ewigkeit! Nein, ich warte keine Sekunde mehr! Komm, ich trage dich, bist eh leicht wie eine Feder!« Und meine arme Mutter warf sich meinen ausgedörrten Körper über die Schulter und schleppte mich zum Auto. Ich versuchte mich mit den Füßen zu stützen, doch sie versagten den Dienst. Feiglinge.
Alles Weitere weiß ich nicht mehr. Ein Gefühl wie ein Albtraum im Delirium. Bruchstückhaft hörte ich Geräusche und Stimmen, Mutters weinerliche und hysterische Stimme, die Stimmen anderer, mir fremder Menschen, das Geräusch eines fahrenden Wägelchens, auf dem ich wohl gelegen haben muss, die Geräusche anderer an mir vorbeifahrender Wägelchen mit Menschen drauf, undefinierbare Geräusche irgendwelcher Geräte und Schläuche, Knöpfe, Glasgefäße, Plastikmaterialien, Gummihandschuhe und letztendlich das Klingeln eines Telefons. Drei Begriffe konnte ich verstehen. Meinen Namen, Hubschrauber, Brünn. Das alles kreiste in meinem Kopf herum, mischte sich zu einem einzigen unappetitlichen Salat und flog wieder auseinander.
Ich brachte diese drei Begriffe, die bei dem Telefongespräch zu hören waren, nicht zusammen, sie sagten mir nichts. Meine gesamte Aufmerksamkeit galt nach wie vor dem Kampf mit der heftigen Übelkeit. Die Nacht über blieb dieser elende Zustand unverändert. Es nahm kein Ende. Scheußlich. Ich wollte sterben. Das Piksen der Spritzen in meinem Handrücken und Arm spürte ich kaum. Wie das Piksen einer Mücke. Ein Streicheln auf der Haut im Vergleich zum inneren Chaos. Mit der Bettpfanne unter meinem Hintern klappte es nicht, ich machte ins Bett, alles musste frisch bezogen werden, auch das war mir nicht peinlich. Es war nebensächlich. Mutter stand hinter der Glasscheibe der Intensivstation und beobachtete das Drama.
Am nächsten Morgen wachte ich auf. Der Magen fühlte sich mies an, aber besser als am Tag zuvor, und ich konnte besser sehen. Als wäre der Frühling ausgebrochen. Meine über Nacht gealterte Mutter, mit dunklen Augenringen, stand immer noch an der Fensterscheibe im Außenraum und betrachtete mich, sah aber nicht wirklich etwas. Wegen der Müdigkeit. Sie schlafwandelte. Als ich sie ins Visier nahm und lächelte, fing sie an zu weinen. Ich lächelte, denn es war mir klar, dass der Kampf gewonnen war. Niemand sagte es mir, niemand sprach mit mir, niemand beruhigte mich, aber ich wusste es. Sie noch nicht.
Später, als ich über den Berg war, eins und eins zusammenzählen konnte, wurde mir berichtet, dass ich an einer schweren Fleischvergiftung erkrankt war, einer sogenannten Botulinvergiftung. Ein lebensgefährlicher Unfall, eine Dummheit, bei der die ohnehin spärlich vorhandenen Pùerovaker »Spitzenärzte« nicht sicher waren, ob ihre Kompetenz in Sachen Vergiftung oder tödliche Erkrankungen ausreichen würde, ganz zu schweigen von der mangelhaften Ausrüstung der dortigen Intensivstation.
Am dritten Tag meines dramatischen Aufenthalts offenbarte sich mir die Außenwelt. Schläuche von unterschiedlichen Ausmaßen schlängelten sich in meine Venen,
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