Paradiessucher
allerlei Apparate tickten und piepsten um mich herum, ein Konzert, meine Nachbarn, die neben mir lagen, schrien und klagten. Die Betten der Abteilung wurden durch weiße Plastikplanen voneinander getrennt, die abgenutzten und vergilbten Stellen wiesen auf eine Herstellung wahrscheinlich noch vor dem 19. Jahrhundert hin. Es muss ein Kind gewesen sein, das neben mir lag und schrie. Es schrie sich die Stimmbänder wund, ich ließ mir Ohrstöpsel bringen. Die Schmerzen, die es haben musste, schienen unerträglich zu sein. Was dem Kind fehlte, ob es angefahren worden war oder was ihm zugestoßen war, wusste ich nicht. Die Ärzte und Krankenschwestern rannten wie die Eichhörnchen herum. Es gab keinen Moment, in dem ich sie hätte ansprechen können. Das Kind hatte eindeutig Priorität. Das Personal bemühte sich zwar, die Plastikvorhänge ordnungsgemäß zu schließen, doch bei dem Stress und dem Rumgerenne gelang dies nicht immer. Es entstanden immer wieder Lücken zwischen den Planen, durch die ich das blanke Entsetzen erspähen konnte. Es glich keiner meiner harmlosen Vorstellungen. Der fünfjährige Junge besaß, so schien es zumindest, keinen Fetzen gesunder Haut mehr. Ich übertreibe sicherlich, denn in so einem Fall würde das Kind längst nicht mehr leben. Mir blieb jedenfalls dieser rote, blutige Körper in Erinnerung. Kein Mensch kann sich vorstellen, was der Junge durchmachen musste.
Die Hintergrundgeschichte erfuhr ich aus den Telefonaten des danebenliegenden Büros, genauso, wie ich meinen kritischen Zustand erfahren hatte. Das geschundene Kind war in einen Kessel mit kochendem Fleisch gefallen, als seine Eltern ein Schwein geschlachtet hatten. Ich kenne mich nicht genau aus mit den Ritualen einer Schlachtung, solche Aktionen sind mir zuwider. Aber die Art der Töpfe kenne ich, sie sind aus Blech oder sonstigem leichtem Metall, über einen Meter hoch und einen Meter breit. Das Fleisch kocht im eigenen Sud und Wasser, eine Portion Gewürze und andere Geschmacksverstärker landen ebenfalls darin. Danach werden aus diesem Brei Presswürste in den Schweinedarm gepresst. Eine Speise, die mich nie reizte.
Nach ein paar Tagen verabschiedete sich die Intensivstation von mir, und ich erfuhr nicht mehr, ob der Junge überlebt hat.
Mutter versucht mit zittrigen Fingern, auf Jareks Brief zu antworten. Sie regt sich auf wie ein Rohrspatz, schnauft, heult. Ganze drei Seiten schreibt sie, um sie sofort wieder zu zerknüllen.
»Was, soll ich schwafeln wie Jarek? Der kann mich mal. Den werde ich sowieso nie wiedersehen, ist doch so?«
»Ja, Mama.«
»Ich schreib Oma, dass ich einen tollen Job angenommen habe und du studierst. Wie findest du das?«
»Mach das so, Mama.«
»Und dass wir sie lieben.«
Ich nicke und wische mir mein vom Heulen verquollenes Gesicht ab.
EINE GUTE UND EINE SCHLECHTE NACHRICHT
Das Leben besteht aus Wandlungen, Phasen, aus Aufs und Abs, aus Glücklichsein und Traurigsein, Langeweile, Euphorie. Die Dinge sind ständig in Bewegung. Die Widersprüche liegen mit Vorliebe nah beieinander. Auf einer Beerdigung hatten meine Cousine und ich einen Riesenspaß, als sich der trauerredefaselnde Pfarrer versprach, zwar harmlos, aber für uns umso komischer. Oma, mit ihren vom Heulen roten Pausbacken, packte uns rigoros am Kragen und jagte uns vom Friedhofsgelände. Schließlich lag ihre Schwester im Sarg. Wir riefen ihr nach, dass es ihrer Schwester doch egal wäre, woraufhin sie wütend nach einem Stock griff, aber statt uns eine Vase mit verwelkten Nelken traf. Wir lachten noch mehr.
Als der Hund Benny von der Polizei aus dem Lager weggetragen wurde, lachten Mutter und ich. Wir lachten, weil wir uns so komisch und hysterisch benahmen, grotesk über Treppenstufen stolperten, mit der Kleidung an Türklinken hängen blieben, mit den Stöckelschuhen kämpften, uns die Stimmen versagten, sodass kein klarer Satz zu vernehmen war bis auf die Urgeräusche zweier Neandertalerinnen. Für Außenstehende die reinste Show. Der Schmerz wurde dadurch keineswegs geringer, trotzdem haben wir gelacht.
Heute kam ein Telegramm ins Lager. Oma ist gestorben. Im Krankenhaus.
Und so lachen wir jetzt, als es uns nicht gelingt, das Telegramm zu verbrennen. Eine symbolische Beerdigung sollte es darstellen. Stattdessen hantieren wir mit Streichhölzern, die nichts Besseres zu tun haben, als uns aus der Hand zu fallen oder sich gegen das Brennen zu wehren. Es gelingt uns nicht, das blöde Papier anzuzünden, es scheint ein
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