Paraforce 5 - Ihr Part, Amanda Harris
weiterer Schuss peitschte auf und kleine Stücke Teerpappe des Daches spritzten nahe an ihr vorbei.
Amanda stand vor dem Abgrund. Sie schluckte trocken.
Bullshit!
Hier ging es an die fünf Meter abwärts.
Egal! Sie sprang und spürte, dass eine Kugel ihren Arm ritzte.
Als sie federnd auf dem Nebendach landete, glaubte sie, ihr Körper müsse zerplatzen. Unsagbarer Schmerz pulsierte durch sie hindurch. Sterne tanzten vor ihren Augen. Dumpf vernahm sie Rufe. Sie rappelte sich hoch und rannte.
12
Bahnhofsmission / Seoul Hauptbahnhof
Wie sie bis hierher gekommen war, vermochte sie nicht mehr zu sagen.
Apathisch lag sie auf einer Pritsche.
Jemand im weißen Kittel verband ihr Bein. Sie sah es nur verschwommen, doch die Stimme, die sie dann hörte, kam ihr bekannt vor.
»Können Sie mir mal sagen, was Sie getrieben haben, Doktor?«
»Schwester Yvonne?«, hauchte Amanda.
Ihr Blick wurde klarer.
»Was tun Sie hier?«, fragte sie müde und schlapp.
»Im Moment verbinde ich Sie. Der Leiter der Bahnhofsmission hat mich angerufen. Ich bin hier zeitweilig ehrenamtlich tätig.«
Amanda schloss wieder die Augen.
Vor ihrem inneren Auge drehte sich alles. Da spürte sie etwas Scharfes auf den Lippen.
Brandy. Sie trank. Es belebte ihre Geister. Sie konnte die Augen wieder öffnen und klarer sehen.
»Na also!«, kam es von Yvonne.
Amanda spürte nur noch leichten Schmerz im Arm und an ihrem Bein. Sie stellte fest, dass man sie bis auf Slip und BH ausgezogen hatte. Zwei Verbände zierten die Stellen, an denen die Kugeln sie getroffen hatten.
»Sie haben Glück, Doc. Beides nur Streifschüsse, wenn auch mit einer tiefen Schramme.«
Amanda versuchte, sich auf der Pritsche aufzusetzen. Yvonne half ihr dabei.
»Etwas merkwürdige Blessuren für eine Ärztin – finden Sie nicht auch, Doc?«
Die Agentin lächelte schief. »Da haben Sie recht. Doktor bin ich tatsächlich. Psychologin … unter anderem.«
»Aha«, machte die Schwester nur und legte das Verbandszeug ordentlich in einen Koffer. »Was ist passiert? Die Polizei ist im Haus und Miss Aston ist tot.«
»Überdosis Betäubungsmittel mit Wahrheitsserum«, setzte Amanda nach.
Yvonne runzelte die Stirn. »Was? Woher … haben Sie ihr das gespritzt?«
Amanda schüttelte den Kopf. »Ihr Dr. Jack.«
Yvonne hielt in den Bewegungen inne und riss die Augen auf. »Was?«
»Tja …« Amanda schwang die Beine von der Pritsche. »Er gehört wohl zu einer Gruppe, die verhindern will, dass Sally Aston etwas ausplauderte.«
»Das sollten Sie der Polizei erzählen!«
»Werd mich hüten!«, stieß die Agentin aus. »Die stecken doch mit drin!«
»Wo drin?«
Amanda zuckte die Achseln. »Wenn ich das wüsste, würde Sally noch leben.«
Yvonne setzte sich gerade auf den Stuhl. »Was sind Sie wirklich? Eine Ermittlerin?«
»Kann man so sehen. Ja.«
Yvonne senkte den Blick. »Es ist merkwürdig. Dr. Jack trat seine Stelle erst vor sechs Wochen an. Nach dem plötzlichen Tod von Professor Yan Yee.«
Amanda kniff ein Auge leicht zu. »So?«
Yvonne holte tief Luft. »Für wen arbeiten Sie?«
Amanda angelte nach ihren Sachen. »Ich versuche einen … Bekannten aus der Patsche zu ziehen. Ein Informatiker. Er befand sich auf einem Kongress hier in Seoul und ist seitdem verschwunden.«
»Was hatte Sally Aston damit zu tun?«
Amanda zog sich langsam und vorsichtig an. »Sie kannten sich. Aber seitdem ich nachforsche, werden Anschläge auf mich verübt.«
Schwester Yvonne stand von ihrem Stuhl auf. »Wo wohnen Sie?«
»Ich hatte vorübergehend ein Zimmer in Sallys Pension.«
»In ihrem Puff«, grunzte Yvonne abschätzig.
»Oder so«, murmelte die Agentin.
Yvonne nickte lautlos vor sich hin. »Okay – dahin gehen Sie besser nicht zurück. Sie können bei mir wohnen. Das ist nicht weit. Sie brauchen
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