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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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»Jetzt wollen wir uns hier ein bisschen umsehen.«
    Schlüter bemerkte, dass zwei Kinder stehen geblieben waren, ein bezopftes Mädchen und ein Junge.
    »What’s your name?«, fragte das Mädchen.
    »My name is Peter Schlüter«, antwortete Schlüter, der bisher noch nicht viel gesagt hatte, als fiele es ihm leichter, Englisch zu sprechen.
    »What’s your profession?«, fragte das Mädchen ernst. Sie hatte neugierige braune Augen.
    »O well, I am …«
    »Haha«, machte der Fremde und tätschelte dem Mädchen den Kopf. »Schlaue Mädchen.«
    »And his name is Paul Clever«, fuhr Schlüter fort. »He is a cook.«

    Aber der Türke wollte sich das Gespräch nicht nehmen lassen, er berichtete von seiner Zeit in Mannheim, von seiner Tochter, die in Deutschland verheiratet sei, von seinem Sohn, der in Köln lebe, bald werde er beide besuchen, er wiederholte, Deutschland sei ein gutes Land, ein reiches Land, bald werde die Türkei auch zu Europa gehören und dann werde alles besser werden, und zuletzt fragte er, ob er den Reisenden helfen könne. Als Schlüter erklärte, sie suchten den Inönü Bulvarı, lachte der Mann wieder und sagte, sie stünden ja schon auf der Straße. Das da, sagte er und wies auf die Querstraße, sei der Inönü Bulvarı. »Großer Mann. Politiker war!« Er zwinkerte Clever zu.
    Der Tee war ausgetrunken, aus dem Nichts tauchte der Bursche mit dem silbernen Tablett wieder auf, sammelte, während der Gastgeber ihm einen zerknüllten Schein zusteckte, die Tassen ein, trabte im Slalom zwischen den hupenden Autos durch zur anderen Straßenseite und verschwand in einem schwarzen Türloch, über dem kavahanesi stand.

    »Gute Reise!«, verabschiedete sich der Mann. »Gott beschütze Sie.« Gott sagte er.
    »Vielen, vielen Dank«, fand Schlüter seine Sprache endlich wieder. Und, als der Mann fort war, zu Zekyie Kaya gewandt: »Ist das hier immer so?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Na klar ist das hier so«, behauptete Clever. Denn wenn man im Knast gewesen war, wusste man manches, was andere nicht wussten. Er sah sich um und blähte wieder seine Nasenflügel, als könne er riechen, wohin sie sich nun wenden sollten.
    »Hello«, piepste es neben ihnen. »What’s your name?« Die beiden Kinder standen immer noch da und ein drittes, ein Mädchen mit pfiffigem Gesicht, hatte sich dazugesellt. Sie grinste voller Erwartung und Zahnlücken.
    »My name is …«
    »Pass auf, junge Dame«, unterbrach Clever und beugte sich freundschaftlich hinab. »Wir haben hier mächtig zu tun und ihr zischt mal schnell nach Hause zu Mami und lasst uns schön allein, ja? Wir haben schon alle Fragen beantwortet, frag mal die andern.« Er legte seine Hand auf die kleine Schulter des Mädchens, pfiff und schob sie fort. Die drei Knirpse trotteten tuschelnd davon, immer wieder lachende Blicke über die Schultern werfend.
    »Da drüben«, sagte Clever und klappte seinen rechten Arm aus. »Da ist ’ne Buchhandlung.«
    In der Tat, auf der anderen Straßenseite konnten sie in dem Eckhaus an der T-Kreuzung Bücher in den Schaufenstern liegen sehen. Clever kreuzte, wie alle anderen, bei roter Ampel die Straße, und während Schlüter und Zekiye brav auf Grün warteten, wie sie es zu Hause gelernt hatten, war Clever schon fort und betrat, vermutlich das erste Mal in seinem Leben, einen Buchladen.
    Als Schlüter aufgeschlossen hatte, redete Clever eifrig auf den Verkäufer ein, einen jungen Mann mit angehendem Schnurrbart, der wohl noch nicht volljährig war und nicht viel zu verstehen schien. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Regalen voller Bücher bedeckt und Schlüter ärgerte sich einmal mehr, dass er die Sprache des Landes nicht verstand und die Titel nicht entziffern konnte. In den Verkaufsständern vor den Regalen Postkarten, Briefumschläge und Schreibpapier, Bürobedarf.
    »Einen Osman Barut kennen die hier nicht«, gab Clever das Ergebnis seiner Verhandlungen bekannt.
    »Fragen Sie noch mal«, flüsterte Schlüter Zekiye zu.
    Sie fragte auf Türkisch. Der Verkäufer antwortete und schüttelte dabei den Kopf.
    »Sag ich doch«, sagte Clever, leicht sauer.
    Schlüter schlug vor, dass sie einfach nach einem Englischlehrer fragen sollten, Zekiye übersetzte, ja, ein Englischlehrer sei bekannt in dem Bücherladen, man habe ihn weder heute noch gestern gesehen, und wann er kommen würde, wüssten sie nicht, so zweimal die Woche käme er, er habe sein Institut in der Belediye Sokak drüben hinter dem Atatürk

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