Paragraf 301
sauschlecht. Regierung auch sauschlecht. Die Bozkurt haben nicht geschafft mit Emin. Die anderen haben geschafft. Militär hat gesagt, Fanatiker müssen verurteilt werden. Also sind sie verurteilt worden. Militär hat gewonnen. Aber Bozkurt auch. Sie haben Gül nach Deutschland geholfen.«
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, knurrte Schlüter. »Und was können wir davon erzählen?«
»Nichts«, antwortete Kasım.
»Gar nichts?«, fragte Schlüter noch einmal.
Kasım und Kamil schüttelten den Kopf.
»Vaat etmekuz«, wiederholte Clever die komischen Wörter und verbeugte sich.
»Wenn ihr redet, sind wir tot«, sagte Kasım. »Wenn du Wahrheit weißt, muss das reichen. Du fährst nach Hause. Wir müssen hierbleiben. Und wollen auch leben.«
Irgendwie war Schlüter erleichtert, einerseits, denn gegen Emin Gül durfte er sowieso nicht tätig werden, weil er sein Mandant gewesen war. Andererseits – was war schon ein mickriger Parteiverrat gegen einen Mord? Eine Puppensünde. Vorsichtig schaltete er die Aufnahmefunktion ab.
Kamil schenkte Tee nach und sie rührten den Zucker hinein und tranken.
Adem und Emin Gül hatten Benzin geholt, während die Demonstration vor dem Hotel zu weißer Wut entbrannte, und einen von beiden hatte Adaman im Flur des Hotels getroffen, mit dem Kanister in der Hand. Wenn es Adem gewesen war, konnte Veli Adaman nicht von Emin in Hemmstedt wiedererkannt worden sein und folglich konnte Emin auch nicht Adamans Mörder sein.
Sie waren keinen Schritt vorangekommen. Nur einen halben. Denn Emin Gül war ein Brandstifter, das stand jetzt fest. Er hatte gelogen. Er hatte sich sein Asylrecht erschlichen, wahrscheinlich mithilfe türkischer Faschisten. Aber ob er Adaman umgebracht hatte, das stand nicht fest. Und mehr würden sie nicht klären können.
Schlüter seufzte und schüttelte resigniert den Kopf, und als die beiden Aleviten das sahen, zogen sie die Zigaretten aus dem Hemd und ließen die Schachtel kreisen.
Morgen würden sie aufbrechen, noch weiter in den Osten und in den Krieg ins Dersim. Bis jetzt hatten sie noch einigermaßen die Kontrolle über das, was geschah. Was würde morgen sein?
42.
Das Band war weg.
Gestern Abend hatte Schlüter das Diktiergerät auf den Fußboden gelegt neben seine Schlafstatt, nicht ohne vorher eine Probe zu machen, ob die Worte zu verstehen waren: Sie waren es. Das kleine Biest hatte besser funktioniert, als er erwartet hatte. Hochmütig hatte er in sich hineingegrinst und sich wie ein Mann vom Geheimdienst gefühlt. Zu früh gefreut. Heute Morgen war er zuerst ins Badezimmer gegangen, danach hatten sie gemeinsam gefrühstückt und anschließend die Sachen gepackt; und dabei stellte er fest, dass das Band nicht mehr im Diktiergerät war. Er hatte zunächst überlegt, ob er es gestern selbst herausgenommen hatte. An was konnte man sich schon sicher erinnern? Aber nein. Er war sich sicher. Also musste sich jemand anders das Band geschnappt haben. Aber wer? Osman? Was machte das für einen Sinn? Osman, der Freund und Retter von Veli Adaman. Und Zekiye Kaya? Hatte sie von Osmans ketzerischen Reden doch etwas begriffen, war sie empört gewesen, wollte sie Schlüters Nachforschungen behindern und Emin Gül helfen? Auch wenn sie ihn nicht mehr heiraten wollte? So oder so: Wegen des unerlaubten Mitschnitts wagte Schlüter keinen Aufstand und zog es vor, über den Diebstahl zu schweigen. Vielleicht war es besser so. Kamil hatte Verschwiegenheit verlangt. Reden konnten sie jetzt zwar immer noch, aber nichts mehr beweisen.
Dann fiel Schlüter siedend heiß ein, dass dieses Band Kasım und Kamil verraten würde, wenn es in falsche Hände gelangte. Naiver Grünschnabel! Vielleicht wollte Zekiye den Aleviten schaden? Oder ihm, Schlüter? Nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden. Der Schweiß brach Schlüter aus bei der Vorstellung, man würde die beiden Informanten unter Vorwänden verhaften und verhören, womöglich unter Schlägen. Fieberhaft überlegte Schlüter, was er tun sollte. Und aus Angst, das Falsche zu tun, tat er nichts. Aber ein wilder Grimm hatte Besitz von ihm ergriffen und die Wut über seine Dummheit. Er würde verdammt noch mal in das Dersim fahren und dort sein Bestes geben, um Heyder Cengi vielleicht doch noch zu seinem Asylrecht zu verhelfen. Er würde Veli Adamans Familie in Tunceli und Heyder Cengis Eltern in Ovacık finden, jetzt erst recht.
Zekiye Kaya aber durfte auf keinen Fall mitkommen. Was würde sie sich noch einfallen
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