Paragraf 301
Landgang im nordirischen Belfast versehentlich erschossen worden, weil er, voll des Guinness, der Front zu nahe gekommen war. Eine Zeit lang waren sie in der Familie nicht aus den schwarzen Klamotten rausgekommen.
Aber Paul Clever war trocken. Nasse Phasen in seinem Leben hatten allein die Frauen zu verantworten, wenn sie in sein Leben getreten und dann seiner belagernden Fürsorglichkeit überdrüssig geworden waren. Denn Paul Clever, ein leiser und melancholischer Mensch, suchte nach der einzigen, der ewigen, der allumfassenden Liebe, und wenn er sie gefunden hatte, wollte er ihr alle Wünsche erfüllen, sie umschmeicheln, umhegen, umsorgen, umarmen, sie auf Händen tragen und nie wieder loslassen. Die Frauen gaben sich ihm hin, die kurzen und die langen, die breitärschigen und schmalhüftigen, die jungen und die nicht mehr so jungen, und ließen sich von Paul Clever lieben und verwöhnen, bis sie ihn endlich zum Teufel und wieder zurück zu seinem Schnaps schickten. Das war dann stets der Startschuss zu einer neuen Einbruchserie, denn Clever versuchte, sich die Liebe der Frauen mit Geschenken zurückzukaufen, Geschenken, die er sich nicht leisten konnte.
Es hupte auf der Straße, Wolfgang war da. Paul Clever war lang und mager und er bewegte sich mit der scheinbaren Langsamkeit einer Giraffe. In weniger als einer Minute war er unten und bestieg den zerbeulten Pick-up, den Wolfgang sich von einem Kumpel geliehen hatte. Wolfgang hatte seine Verbindungen.
»Was gibt’s zu tun?«, fragte Clever in den Motorenlärm hinein, während er sich angurtete. Er legte Wert darauf, die Vorschriften einzuhalten.
Wolfgang antwortete nicht, sondern schwieg überlegen. Also war es ein besonderer Auftrag. Wolfgang wollte Clevers Neugierde steigern. Paul Clever grinste ein breites Grinsen von Ohr zu Ohr, tiefe Kerben erschienen an seinen Wangen. Sie fuhren auf der Allensteiner Straße Richtung Innenstadt.
Verstohlen sah Clever nach hinten zur Ladefläche: Motorsäge, Astschere, zwei Aluleitern, Stricke, Spaten und Axt. Also ein Garten. »’n Garten, wie?«, fragte er möglichst gelangweilt.
»Klar. Aber was für einer!«
Wolfgang hatte trotz der Kälte die Ärmel aufgekrempelt und ließ die Bilder sehen, mit denen er sie im Laufe seiner Knastjahre hatte verzieren lassen. Inzwischen kam Wolfgang mit den zwei Fingern, die ihm eine böse Bandsäge an der rechten Hand gelassen hatte, ganz gut zurecht. Die drei kleinen tätowierten Punkte in der Beuge am Daumen waren noch zu sehen. Sie symbolisierten das nasse Weser-Elbe-Dreieck zwischen Bremen, Hamburg und Cuxhaven. Außerdem trug Wolfgang die Knastträne unterm rechten Auge, ein kleiner blauer Fleck. Zuletzt hatten sie im Hemmstedter Knast zusammen gesessen, wo Clever der Koch und Wolfgang sein Gehilfe gewesen war. Immer wenn Clever Wolfgang traf, musste er an den Ausbruch denken, den er damals mit August von Borstel und Erich Müller veranstaltet hatte. Es war nie einer dahintergekommen, dass Wolfgang ihnen dabei geholfen hatte.
Clever hatte sich nie tätowieren lassen. Das verdarb seiner Ansicht nach den Schlag bei Frauen und er führte seine Erfolge zum Teil darauf zurück, dass er, obwohl dünn und lang wie sein Strafregisterauszug und mit krummem Lebenslauf, wenigstens nicht tätowiert war. Vielleicht war es aber auch seine Melancholie, die Frauen anzog, weil sie diese mit Weisheit verwechselten. Am wahrscheinlichsten aber betörten Paul Clevers Augen, sein unter tiefen Lidern verschleierter Blick, der manchmal lebensmüde wirkte, voll feuchten Gefühls, wie der einer trächtigen Kuh. Paul Clever war ein Pfadfinder, einer, der sich aus äußeren Dingen nichts machte, und sein kostbarster Besitz war ein Spirituskocher.
Sie fuhren jetzt auf der Teichstraße direkt am Polizeirevier vorbei. Clever warf einen nervösen Blick auf das Gitterportal.
»Hast du wieder was verbrochen?«, fragte Wolfgang.
Clever schüttelte nur den Kopf. Er schielte auf den Tacho. Fünfundfünfzig. Wolfgang fuhr, wie jeder andere auch fahren würde. Clever strich sich mit der Hand über sein frisch gewaschenes Haar und sah sich gedankenverloren seine Handfläche an.
»Na – sauber?«
Clever nickte.
»Das gehört sich auch so, bei dem Job heute.« Wolfgang grinste wie ein Eroberer nach dem Sieg.
Clever gab ihm nicht die Ehre der Nachfrage. Das gehörte zum Ritual. Er wusste, heute würde etwas Besonderes anstehen. Sie fuhren über die Bahnhofsbrücke, bogen links ab, kamen an der
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