Paragraf 301
ihren Glauben zu verteidigen, sie würden in die Hölle kommen, wenn sie nicht etwas gegen diese Gotteslästerung unternehmen würden. Und nur das hat Emin getan, sagt Emin.«
»Was sind Rotköpfe?«, fragte Schlüter und erinnerte sich an die Orgie in der letzten Woche.
»Kızılbas? Das sind Leute, die nicht an Allah glauben und Mohammed verhöhnen«, antwortete die junge Frau. »Mein Vater sagt …«
»Steht das auch im Koran?«, fragte Schlüter.
»Mein Vater …« Die junge Frau verstummte und warf einen Blick auf Gül.
Der legte beide Arme rückwärts über die Stuhllehne, streckte seine Teile vor und begann zu wippen, als verkehre er, seine Jacke knarrte rhythmisch; er blickte gelangweilt auf seine schwere Armbanduhr, legte schließlich die flachen Hände zwischen die Bügelfalten seiner Hose. Er machte ein unbeteiligtes Gesicht.
»Und wieso heißen die so?«, fragte Schlüter.
»Die werden schon immer so genannt …«
»Und wie verhöhnen diese Leute Mohammed?«, fragte Schlüter und dachte an die handschriftlichen Pamphlete von Hans-Herrmann Rathjens, die morgens im Briefkasten lagen: An den Rechtsverdreher Schlüter. Oder: An den Lügner Schlüter.
»Indem sie behaupten, er wäre nicht der letzte Prophet. Sie haben einen unrechtmäßigen Propheten.«
»Sind die Rotköpfe Aleviten?«, wollte Schlüter wissen. »Ihr Vater hat von Aleviten geredet.«
»So nennen sich diese Leute selbst«, erklärte die Dolmetscherin. »Aber wir, mein Vater und die andern, nennen sie immer Rotköpfe. Jedenfalls hielt sich in dem Hotel auch ein Mann auf, der Nesin heißt, Aziz Nesin, er hat Die satanischen Verse in der Türkei drucken lassen, womit er alle Muslime beleidigt hat, und …«
Bei dem Namen Aziz Nesin knarrte Güls Jacke wütend und Schlüter ärgerte sich, dass das Gespräch schon wieder in die philosophischen Tiefen der Religion abrutschte. Deshalb fragte er schnell: »Und dann? Was geschah dann?«
»Irgendwelche Leute«, setzte die Frau mit einem Seitenblick, diesmal mit einem langen, auf Gül fort, »irgendwelche Leute haben dann das Hotel angezündet und die Rotköpfe sind darin verbrannt. Das haben sie auch verdient, sagt Emin, obwohl Emin damit nichts zu tun hatte. Er war nicht mehr dabei, er war zur Arbeit gegangen. Der Brand war Allahs Wille, sagt Emin. Emin kann nichts dafür.«
»Was für eine Arbeit denn?«, fragte Schlüter.
Die Frau übersetzte. Emin sprach einen kurzen Satz, aus dem Schlüter Ungeduld heraushören konnte.
»Das hat der Onkel Ihnen auch schon erzählt, sagt Emin«, antwortete die Frau. »Jedenfalls hat Emin das Hotel nicht angesteckt. Das waren andere, sagt Emin, er hat damit nichts zu tun. Emin war einfach nur bei der Demonstration dabei, weiter nichts.«
»Dass Ihr Cousin bei der Arbeit war, hat Ihr Vater gesagt, aber ich glaube nicht, bei was für einer. Ich muss wissen, wo Herr Gül war, als es anfing zu brennen. Ich frage ja nicht, weil ich neugierig bin, sondern weil man ihn das bei seiner Anhörung in Celle auch fragen wird. Ich muss die Antwort vorher kennen.«
Die junge Frau wandte sich an ihren Verwandten. Gül begann auf Türkisch zu reden und hackte Holz in der Luft, einen großen Stoß.
»Er sagt, er war nur nachmittags da«, übersetzte die Frau. »Die Moschee hat er um halb zwei verlassen, da war die Demonstration. Erst sind sie alle zum Gouverneur gegangen, weil der den Leuten im Kulturzentrum ja die Erlaubnis erteilt hatte, gottlose Sachen zu machen. Doch die Polizei hat sie weggejagt. Also sind sie zum Kulturzentrum zurück, zum Hotel Madımak, da kam die Polizei dann auch hin und hat sie wieder weggejagt. Sie sind noch mal zurück zum Haus des Gouverneurs und dann wieder zum Kulturzentrum und haben demonstriert. Einige haben Steine geworfen und andere haben ein Denkmal zerstört, das die Rotköpfe einen Tag vorher aufgestellt hatten, aber Emin hat dabei nichts gemacht, und weil er damit nichts zu tun haben wollte, ist er ungefähr um halb sechs wieder zur Arbeit gegangen, und als es anfing zu brennen und das alles, das war viel später, da war er bei der Arbeit. Und Emin sagt, er hätte das schon so oft gesagt, er hätte das der Polizei gesagt und allen, und schon ganz oft.«
»Aber ich habe es noch nicht gehört«, sagte Schlüter müde. »Und ich muss seine Aussage doch auch kennen, oder? Deswegen soll er mir verraten, welche Arbeitsstelle das war, zu der er gegangen ist.«
Die Frau fragte Gül, der kurz antwortete.
»Eine Autowerkstatt«,
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