Paragraf 301
Türen hinter einem Geländer. Große Kübel mit Pflanzen. Glänzende Fliesen, goldene Türdrücker.
Judy Collins drehte sich und zeigte Clever beide Bögen ihres Leibes. »Bitte hierher, meine Herren …«, sagte sie.
Anna Dieken war die Frau des Oberkreisdirektors, klärte Wolfgang seinen Kumpel stolz auf, als sie außer Hörweite waren. »Mein Mann ist zum Städtetag nach Mannheim gereist«, hatte sie gesagt. »Wenn er zurückkommt, soll der Garten winterfertig sein.« Sie erklärte den Arbeitern, was zu tun war, und zog sich in das Haus zurück.
»Mönsch«, stieß Wolfgang aus und riss an der Motorsäge, »hast du der ihre Titten gesehn?«
»Halt die Klappe, du Arsch. Ein Pfadfinder sieht alles.« Clever lehnte zotige Sprüche ab.
»Apropos Arsch, der ihr ’n Arsch, den möcht ich ma …«, aber da war die Säge zum Glück angesprungen, und man konnte nichts mehr verstehen.
Sie arbeiteten, schnitten Stauden, fällten Bäume, die zu dicht am Haus standen, lichteten Büsche aus und schleppten das Holz an die Auffahrt, wo es später gehäckselt werden sollte. Sie rissen den alten Kompostplatz auseinander und brachten seinen Inhalt ebenfalls nach vorn.
Nach dreieinhalb Stunden servierte Judy Collins Kaffee. Drinnen durften sie den allerdings nicht trinken. Frau Dieken hatte ein Gartentischchen auf die Terrasse gestellt, eine bleiche Sonne schien und wärmte ein wenig. Während sie servierte, taxierte Wolfgang ihr Fleisch und beäugte unverschämt ihren Busen. Paul Clever fand das ungehörig und mühte sich redlich, anständig zu bleiben. Er ärgerte sich, und als er das merkte, ärgerte er sich noch mehr.
Sie arbeiteten bis vier. Die Sonne war hinter den Bäumen in Deckung gegangen, es dämmerte.
Es war, als sie gehen wollten. Eigentlich waren sie schon gegangen. Clever wollte das Tor hinter sich zuziehen, und Wolfgang hatte schon den Pick-up aufgeschlossen.
»Herr Clever, einen Moment bitte …«
Er lief die paar Schritte zur Haustür zurück, unter der sie mit verschränkten Armen stand.
»Ich hatte ganz vergessen, Sie zu fragen, ob Sie … Ich brauche Ihre Hilfe. Wir kriegen zu Weihnachten einen Flügel, und um den im Haus unterzubringen, muss ich ein paar Möbel umstellen. Würden Sie mir dabei helfen?«
»Ja, ich …«
»Vielen Dank, Herr Clever – und, wenn Sie bitte Ihrem Freund nichts davon sagen würden – er muss nicht neidisch auf den kleinen Extraverdienst sein. Ich brauche nur einen Mann. Und Sie sind mir sympathisch. Abgemacht?« Kleines Lächeln.
Er nickte. Sie bat ihn um seine Telefonnummer. Er sagte sie ihr. Tür zu.
»Was hatte die denn noch?«, fragte Wolfgang.
»Ach nix, sie fragte nur, wann wir morgen wiederkommen.«
»Ja, um acht natürlich, hab ich der doch schon gestern gesagt, am Telefon!«
»Hatt se wohl vergessen gehabt …«
13.
Das Leben schlich weiter auf staubiger Straße. Schlüter konnte sich nicht konzentrieren auf irgendeine Arbeit. Es war einer jener Tage, an denen man sich dem Erstickungstod nahe fühlte. Die Sonne hatte sich seit Wochen nicht blicken lassen und es war ungewiss, ob sie je wieder scheinen würde. Die Sicht draußen betrug seit Tagen kaum mehr als fünfzig Meter und es rührte sich kein Hauch. Weder Frost noch Regen wollten das Regiment führen. In zwei Tagen war Heiligabend.
Schlüter war zwischenzeitlich weder zum Nordpol noch nach Konstantinopel oder auf die Seidenstraße gegangen, sondern wie alle Tage nur ins Büro, zum Gericht und nach Feierabend nach Hause zu den Büchern. Die kurzen Wege, die immer die gleichen waren.
Vorhin hatte er sich die Zankschrift von Hans-Herrmann Rathjens in der Grabsteinsache vorgenommen, auf die er bis heute zu erwidern hatte gemäß Verfügung des Präsidenten, der für den Rechtsstreit zuständig war. Der Hass, der aus jeder Zeile des Schreibens spritzte, hatte Schlüters Seele verätzt. Der jahrzehntelange Konsum schriftlicher Insinuationen hatte ihn nicht hart gemacht wie andere, sondern weich. Nachdem Rathjens fast alle Rechtsanwälte des Bezirks mit seinen Ränken und Stänkereien belästigt hatte, ließ er sich neuerdings vom Kollegen Meier-Mertes vertreten, sekundierte aber mit eigenen Pamphleten, weil er auch ihm nicht über den Weg traute. Die Scheu, die Meier-Mertes vor dem Argument unterhalb der Gürtellinie hatte, ging Rathjens ab. Schlüter fehlte die Kraft, die Tiraden zu studieren; er beantragte Fristverlängerung bis zum 6. Januar, da die notwendige Rücksprache mit der Mandantschaft
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