Parallelgeschichten
solchen Vortrag folgt, weiß nämlich ein jeder, was er in nächster Zeit zu tun hat. Da braucht es keine vielen Worte, niemand erteilt Befehle, es gibt auch keine langen Abstimmungen. Ein solches stilles Einverständnis entspricht dem Ungarntum auch viel eher als die lärmige parlamentarische Demokratie oder ähnliche Einrichtungen. Wenn es darum geht, einen Entscheid zu fällen, beratschlagt der Rat der Anführer, und in noch größeren Angelegenheiten gibt es den allgemeinen Namensaufruf. Ich darf auch verraten, dass man in den höchsten Kreisen unsere Aktivitäten gutheißt, ja, mehrere gewichtige Persönlichkeiten sind Mitglieder bei uns.
Wieder verstummte er.
Mit weit offenen Augen, hochgezogenen Augenbrauen und einem über den Tisch gehobenen Arm signalisierte er, dass Seine Durchlaucht, der Reichsverweser, von der Spitze der Hierarchie herunterblickend ihr Tun sozusagen schweigend unterstützte.
Vielleicht sein Schutzherr war.
Selbstverständlich tritt er nicht persönlich in Erscheinung, fügte er fast flüsternd und wie beiläufig hinzu, er lässt sich zuweilen durch seinen ältesten Sohn vertreten, und Mihály ist wirklich der aufgeklärteste Ungar.
Aber auch darauf erwiderte Madzar nichts.
Sieben Prozent der Jahreseinkommen gehen in die gemeinsame Kasse, fuhr der Kapitän ebenso leise und beiläufig fort. Den größten Teil davon verwenden wir auf die Schulung, eventuell auch im Ausland, von tief ungarisch empfindenden jungen Männern.
Von diesem Augenblick an spürte Madzar nicht nur Befremdung, er vermochte kaum mehr darauf zu achten, was der andere redete.
Die wollen doch mein Geld.
Er verstand eigentlich überhaupt nichts mehr.
Eben hatte er doch an sein Geld gedacht.
Wie jemand, der sich plötzlich im Weltall verliert, während es sich einmal mit ihm dreht.
Das kann doch nicht sein, dass der Bellardi Gedanken liest. Madzar wurde es schwindlig bei der Vorstellung. Denn er hatte tatsächlich etwas Geld auf der Seite, verdient mit seinen Arbeiten in Rotterdam, damit wollte er sein Leben in Amerika beginnen. Das durfte er nicht anrühren. Für ihn war es eine beträchtliche Summe, aber sicher nicht genug für irgendwelche Wohltätigkeiten.
Na ja, von den Szemzős hatte er für beide Arbeiten einen beträchtlichen Vorschuss erhalten, und dieses Geld hatte er noch nicht an die Amsterdamer Bank überwiesen, sondern auf die Allgemeine Ungarische Sparkasse gelegt.
Was ihn jetzt mit tiefster Besorgnis erfüllte. Er fühlte sich wie jemand, über den plötzlich alles hereinbricht.
Ein paar Stunden zuvor hatte er aus einem zufällig in die Hand genommenen Pester Lloyd erfahren, dass Baron Koháry, Bellardis großmächtiger Schwiegervater, im Verwaltungsrat auch dieser Institution saß. Die verborgenen Verflechtungen wurden auf einmal deutlich sichtbar, als wäre er einem komplizierten Verbrechen auf die Spur gekommen. Aha, sagte er sich, alles klar. Die Kolben der Dampfmaschine schienen nicht drei Stockwerke unter seinen Sohlen zu arbeiten, sondern in seinen Adern, wo sie das Blut sogen und stießen, und die Schaufelräder droschen durch die Masse seines Hirns; in seiner Wut begannen ihm die Schläfen zu pochen.
Er machte sich Vorwürfe wegen seiner Unverantwortlichkeit.
Ich werde aufgerieben.
Die hier reiben mich auf. Hier ist offenbar jeder mit jedem verbandelt, und alles hängt mit allem zusammen.
Dann ist das längst nicht ein Werk des Zufalls, die Zusammenhänge sind klar.
Anscheinend darf man nicht einmal so lange hier sein, die saugen dich ein.
Aber auch Bellardi war nicht mehr ganz aufmerksam, genauer, er merkte nicht, wie sehr seine Worte ihre Wirkung verfehlten.
Wenn er mit jemandem über dieses Thema vertraulich reden konnte, was tatsächlich selten vorkam, hatte er seine Begeisterung nicht mehr unter Kontrolle.
Allein die Vorstellung, dass die Ungarn nach jahrhundertelangen Zwisten wieder zusammenfinden könnten und er das ausgerechnet einem Mohácser Mitgenossen erzählte, wenn auch vorsichtig, ließ ihn von der gewöhnlichen Welt abheben. Er war glücklich. Der andere wusste ja mindestens so gut wie er, warum in Mohács kein Ungar mehr am Leben geblieben war, dem brauchte man das nicht zu erklären. Als Kinder hatten sie die Massengräber finden wollen, und eins hatten sie dank der Uferschwalben und des Wassers, das das Ufer ausgewaschen hatte, vielleicht tatsächlich entdeckt.
Bellardi war von einem berauschenden Freiheitsgefühl erfüllt, weil er auf gemeinsames Wissen
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