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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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aufbauen, ohne die in Frage kommenden Personen zu beobachten und zu prüfen.
    Es kann doch nicht sein, dass ich mich so verrechnet habe, dachte er unterdessen. Du missverstehst mich absichtlich, und ich weiß auch, mein Lieber, warum du das tust, sagte er. Vergiss nicht, was du weißt, weiß auch ich sehr wohl.
    Mit eingerechnet, dass ich, na ja, kein Charakterheld bin, es gab wirklich Zeiten, da ich dich auf hässliche Art verraten habe. Zu meiner Ehrenrettung kann ich einfach sagen, dass ich es nicht aus Bequemlichkeit tat. Vielleicht wollte es mein Gewissen so.
    Er zitterte fast vor Erregung, vor verzweifeltem Schwanken zwischen hochmütiger Zurückweisung und vernünftiger Einsicht.
    Auch das weißt du, dass ich dich mehr geliebt habe als sonst jemanden und dich heute noch liebe wie einen Bruder.
    Ich habe dich nicht weniger geliebt, sagte da der andere mit großem Ernst.
    Jawohl, ich bin ein Rassenverfechter, rief Bellardi aufgewühlt und in voller Lautstärke.
    Es hatte ihm nicht entgehen können, dass sich die Liebe des anderen nur auf die Vergangenheit bezog.
    Deswegen brauche ich aber nicht unbedingt ein Rassenhasser zu sein.
    Bin ich auch nicht.
    Er sah, dass er mit den Zitaten aus Professor Lehrs Ausführungen, wie sie in der zum Schutz des Ungarntums bestehenden Geheimgesellschaft als ermutigende Stereotype kursierten, den andern tatsächlich überraschte.
    Die Mitgliedschaft hat nicht zur Bedingung, fuhr er ein wenig sachlicher fort, dass beide Eltern reine Ungarn sind. Es genügt, wenn man einen ungarischen Vater und Großvater hat, und diese Bedingung erfüllst du, ob du willst oder nicht.
    Er lachte leise.
    Du müsstest das alles schon deshalb verstehen, fuhr er eher spöttisch als erregt fort, weil auch du nicht anders denkst. Hast nicht du gesagt, das jüdische Element sei dabei, auf der ganzen Welt die Architektur in Beschlag zu nehmen.
    Madzar blieb von dieser ganzen konfusen Selbstrechtfertigung die Luft weg. Als hätte er in den seelischen Mechanismus des anderen geblickt und plötzlich erkannt, warum in diesem lückenlosen System für den Realitätssinn nicht der geringste Platz blieb.
    Er erschrak vor Bellardi und musste aufpassen, die Fassung nicht zu verlieren.
    Ich habe dir deutlich gesagt, was ich nicht bin. Und Nationalsozialist möchte ich nicht sein, weil ich im Gegensatz zu dir weiß, was das ist.
    Ich bin also in deinen Augen ein Nationalsozialist.
    Von dir habe ich nicht geredet.
    Lächerlich. Wirklich lächerlich.
    Dann sag mir doch bitte, was der Unterschied ist zwischen dem deutschen und dem ungarischen Rassenschutz. Ich jedenfalls möchte die Welt nicht nach rassischen Erwägungen aufteilen.
    Dann stimmen wir ja hundertprozentig überein, antwortete Bellardi.
    Deshalb werde ich weggehen, flüsterte Madzar ebenfalls leidenschaftlich.
    Auch ich wäre ein Humanist, wenn du mich in dieser lasterhaften gemischten Gesellschaft zulässt, fuhr Bellardi fort. Zumindest meiner Erziehung nach bin ich es noch immer und werde es auch bleiben. Ich habe dir keinen Anlass gegeben, mich einen Nationalsozialisten zu nennen.
    Ich habe dich gar nichts genannt.
    Wir haben doch gerade davon gesprochen, dass die Ungarn den Deutschen nicht erlauben dürfen, sich im Namen der Rasseninteressen bei uns breitzumachen. Wir müssen Widerstand leisten, warum wäre das ein Verbrechen. In solcher Gefahr bleibt dem Ungarntum nichts anderes übrig, das sehen sogar die Vernünftigeren unter den Juden ein, und sie kollaborieren mit uns. Du solltest dir Lehr wirklich einmal anhören, und seine schöne Frau ist Jüdin.
    Nicht deine Abstammung interessiert mich, Lojzi, Lieber, das weißt du doch genau.
    Wenn ich das so eng sähe, müsste ich dir ja vorwerfen, dass du für den Juden arbeitest und ihn damit stärkst.
    Oder ich hätte sagen müssen, die Angelegenheiten des Ungarntums interessieren mich nicht, meinem Blut und Namen gemäß sei ich ja Italiener.
    Er hatte seine Rede noch längst nicht beendet, als Madzar plötzlich die Faust hob, um auf den Tisch zu schlagen.
    Was aber nicht geschah.
    Madzar stieß unter sich den Stuhl weg und stand auf.
    Du stellst dir doch nicht vor, du wirst doch nicht annehmen, sagte er fast trocken und nunmehr ohne Erregung, dass mir jemand vorschreiben oder auch nur vorhalten kann, für wen ich arbeite und für wen nicht.
    Das höfliche Lächeln schwand nicht aus seinem Gesicht.
    Jetzt durchschaute er das verhakte Denk- und Strategiesystem des anderen deutlich.
    Daraufhin erhob sich

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