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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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nicht, er betreffe nur die höheren Ebenen oder Kreise. Es braucht ein tiefes ungarisches Empfinden, aber Gefühlsseligkeit ist nicht am Platz. Die Administration muss vom deutschen Element gereinigt werden, Industrie und Handel vom jüdischen Element. Man muss sich im Interesse des Ungarntums konsequent um die frei werdenden Plätze bemühen. Die Unsrigen müssen in den Dienst der ungarischen Ziele eingespannt werden, aber auch die, die noch nicht die Unsrigen sind.
    Ja, auch die, die es nie werden können.
    Er senkte die Stimme zu einem Flüstern.
    Während wir hier friedlich über diese Dinge plaudern, organisiert der Mayerjunge meine Heizer für den Volksbund. Ein mächtiger Kampf um die Seelen, flüsterte er verzweifelt. Unsere Aufgabe ist es, das schwäbische Element daran zu hindern.
    Wie kannst du da gleichgültig bleiben.
    Als er an diesem Punkt seiner Leidenschaft angelangt war, unterbrach ihn Madzar in zärtlichem Ton. Aber du weißt doch, Laci, Lieber, dass auch ich zu einem großen Teil Schwabe bin.
    Bellardi verstummte, als nähme ihm diese verblüffende Mitteilung den Atem.
    Ach, hör doch auf, du weißt ja nicht, was du redest. Ich habe dich immer als aufrechten Ungarn angesehen.
    Wie du mich ansiehst, ist nur die eine Seite der Medaille.
    Du hast mich vielleicht nicht richtig verstanden.
    Als was ich mich ansehe, ist die andere.
    Es gibt keinen aufrechteren Ungarn als Professor Lehr. Nicht einmal Dezső Szabó ist aufrechter. Sogar Ferenc Herczeg ist ein rechter Ungar.
    Madzar lachte, nicht so sehr aus guter Laune als aus nervöser Aufgebrachtheit, ein Lachen, als fände er amüsant, was Bellardi ihm unwillkürlich enthüllte.
    Bevor du zu viel sagst, mehr als du sagen willst, fuhr er lachend fort, möchte ich dich darauf aufmerksam machen, dass nicht einmal meine Muttersprache Ungarisch ist. Du kannst ja kaum vergessen haben, mein Freund, dass meine ungarische Aussprache ein dauernder Anlass für eure peinlichen Scherze war.
    Er hatte es nicht sagen wollen, noch jetzt tat es weh, dass sie ihn ausgelacht hatten.
    Meine Mutter heißt nach wie vor Barbara Stricker.
    Seine Stimme schwankte, denn das sagte er doch nicht, dass er wegen des Namens seiner Mutter noch extra gehänselt worden war.
    Sogar nach so vielen Jahren kamen ihm wegen dieser Demütigung fast die Tränen.
    Sie saßen sich gegenüber, die Sekunden vergingen quälend im gemeinsamen Schmerz, das Schiff durchpflügte die Nacht in gleichmäßigem Stampfen.
    Nie, dachte er leidenschaftlich, nie mehr.
    Wie Leute, die sich schon endgültig getrennt haben und nur noch aus Höflichkeit und Rücksicht auf ihren Plätzen sitzen bleiben. Madzar reglos, mit wütend gesenktem Kopf, den Blick zum Gesicht des Kapitäns erhoben, während seine schwere, vor Kraft fast formlose Faust in drohender Bereitschaft auf dem cremefarbenen Tischtuch lag.
    Bellardi, in seiner Überraschung, hatte seine Zigarre vergessen.
    Wie sehr er sich auch anstrengte, er fand nicht mehr zu seinem Thema zurück.
    Ich erinnere mich nicht, sagte er ganz leise und unsicher, dass ich mich je über Eigenschaften von dir oder über deine Umstände lustig gemacht hätte. Ich habe dich immer bewundert, mein Freund.
    Er stöhnte geradezu, brachte aber doch heraus, mein bester Kumpel, was redest du denn.
    Es klingt ziemlich unwahrscheinlich, dass du dich nicht erinnerst.
    Bellardi hätte aus seinen Phantasien in die Realität zurückfinden müssen.
    Er wollte nicht wissen, woran man ihn erinnerte, er wollte sich nicht in seiner Kleinlichkeit und Hinterhältigkeit sehen.
    An die Schleuder erinnerte er sich durchaus, natürlich erinnerte er sich an sie.
    Sie blickten sich in die tränenden Augen, sahen, wie der andere rang, sahen aber nicht mehr durch den Blick des anderen hindurch, nicht dahinter.
    In ohnmächtigem Affekt brach Bellardi seine Zigarre entzwei und drückte und knetete sie so lange im Aschenbecher, bis sie in ihre Blätter zerfiel und als trocken stinkender Haufen zurückblieb.
    Noch in diesem Augenblick liebte er seinen alten Freund sehr, betete ihn an.
    Warum denkst du, ich wisse nicht, mit wem ich rede, rief er endlich in einem gepressten, seltsam drohenden Ton. Auf welche Art kann ich dir denn noch den Hof machen. Meinst du, wir hätten nicht nachgeprüft, wes Geistes Kind du bist. Was braucht es noch, um dich von der Lauterkeit meiner Absichten zu überzeugen.
    Er machte eine Pause, um seine Erregung zu meistern.
    Meinst du, man könne eine so verzweigte Organisation

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