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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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bauen konnte.
    Seine Tätigkeit in der Geheimorganisation war für ihn die einzige praktische Möglichkeit, die Tür seines Käfigs zu öffnen und aus sich herauszutreten. Daran dachte er wirklich nicht, dass Madzar eine so aufregende menschliche Gemeinsamkeit aus dem Stand verweigern könnte. Dieses befreiende Gefühl der mitmenschlichen Nähe bestärkte ihn in seiner tiefen Überzeugung, dass Ungarntum kein Zustand ist, in den man mit der Geburt tritt, sondern ein Glaube und eine Weltanschauung, die man mit Tätigkeit verdienen und in gemeinsamen Aktionen bestärken muss. Sobald er dieses Thema berührte, stand er schon auf der riesigen Ebene, wo sich die wahren Ungarn in jener fatalen Morgenfrühe des Jahres fünfzehnhundertsechsundzwanzig zusammengeschart hatten. Denn die Schlacht von Mohács hatten nicht die verloren, die gegen den Türken in den Kampf gezogen, sondern die, die zu Hause auf ihrem warmen Lager geblieben waren. Dieses klare Bewusstsein raffte die historische Zeit zusammen. Kein Unterschied mehr zwischen Mittelalter und Neuzeit. Er heftete seinen Blick aufs Gesicht seines Kindheitsfreundes, mit dem er das Glücksgefühl so sehr teilen wollte, dass er gar nicht merkte, wie ihm dessen Aufmerksamkeit entglitt.
    Er starrte gebannt in sich hinein, auf das geheime Netz dieser einflussreichen Gesellschaft. Man vertraute ihm, und er vertraute den anderen. Dieses Vertrauen enthielt sein ganzes menschliches Verantwortungsgefühl. Als beobachtete er mit den Augen der anderen, auf welche Art er seinen Freund lebendig in dieses Netz hineinknüpfen und was dieser der Untergrundbewegung bringen konnte.
    Madzar war nicht nur von den sieben Prozent peinlich berührt. Die Angst um die Geheimhaltung seines Bankkontos war nur ein Symptom seines sachlichen Denkens. Er konnte das unpersönliche Entzücken, das Bellardi ausstrahlte, nicht begreifen und nachfühlen, solche Begeisterung war ihm eher unangenehm. Von Freiheitsgefühl keine Spur, eher eine peinliche physische Empfindung. Madzar erlebte es wie einen körperlichen Übergriff von der Hand des geliebten Menschen, als würde er von mehreren in eine Ecke gedrängt oder in einen muffigen Verschlag gepfercht. Beschämt senkte er den Kopf. Sein starkes Kinn erreichte fast seinen Brustkorb, er blickte zu den glänzenden Augen des von der Kraft der Geheimgesellschaft durchdrungenen Bellardi auf, halb in Verteidigungs-, halb in Angriffsstellung. Sein dichtes Haar wurde in dem flackernden Kerzenlicht zu einem besonders gearbeiteten Kupferhelm, machte seinen Schädel unverletzlich, zu einem Panzer, den niemand durchbohren konnte.
    Auch Bellardi würde ihm sein Geld nicht wegnehmen können.
    Und erst noch sieben Prozent.
    Die wissen, wie viel Geld er hat.
    Von ihm bekommt keiner was.
    Vom bloßen Gedanken an Wohltätigkeit wurde ihm unbehaglich.
    Wie kommt Bellardi überhaupt auf die Idee, dass er irgendwem für irgendwas auch nur einen Kreuzer gibt.
    Keinem.
    Unterdessen sprach Bellardi davon, dass sich die Ungarn im Hinblick auf die endgültige Lösung der Judenfrage nicht den Deutschen ausliefern, beziehungsweise dass die ungarischen Interessen wegen des Juden nicht gefährdet werden dürften. Man müsse den Kampf aufnehmen, aber gleichzeitig zwei Drachen die vierzehn Köpfe abschlagen. Nur Romantiker neigten dazu zu vergessen, dass der Deutsche heute nicht mehr an einem schwachen Ungarn interessiert sei. Deutsches und ungarisches Interesse träfen sich in vielen Punkten. Wir allein vermögen den Bolschewismus nicht zu bekämpfen. Trotzdem müsse man im Namen des Ungarntums Bestrebungen entgegentreten, die der deutsche Geheimdienst mit Hilfe der hiesigen Schwaben seit Jahren finanziert und forciert. Für die abgespaltenen Landesteile verlangen die Deutschen einen unbezahlbaren Preis. Es sei ein Kampf um die Atemluft, ums Überleben, um die reine Existenz, und er hätte es sehr gern, wenn Madzar das verstünde. Die Deutschen wollen immer weitere Positionen erkämpfen, sie vereinnahmen die Polizei, die ganze Administration, die oberste Leitung des Heers.
    Deswegen sage er, dass die Zivilisten keine Ahnung haben, was untendurch läuft. Wie die Maulwürfe. Das jüdische und das deutsche Element haben den ungarischen Staat untergraben und angenagt, um ihn sich im gegebenen Moment unter den Nagel zu reißen.
    Es ist ein Kampf, rief Bellardi, denn das Gesicht des geliebten Menschen regte sich auch jetzt noch nicht.
    Längst kein aussichtsloser Kampf, rief er, und glaube bloß

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