Parallelgeschichten
Wiedersehen bis an die Haarwurzeln erzitterte.
An Rücken und Schenkeln überlief ihn Gänsehaut.
Ich sehe zwar, fügte er hinzu, dass Sie nicht viel Holz haben.
Schließlich begegnete er hier der vergangenen Zeit, und in deren Tiefen lag die angespülte Leiche des kleinen Jungen, die sie schändlicherweise mit den anderen anschauen gegangen waren.
Es war nicht anders möglich, auch sie mussten sie einfach anschauen gehen, so wie alle.
Auf den herrischen Ton hin legte Gottlieb die Feder nun doch sorgfältig auf den Tisch, schraubte sicherheitshalber den Deckel aufs Tintenfass.
Er sah, wie sich das Gesicht des fremden Herrn gerötet hatte, und als müsse er sein Eigentum vor unverständlicher Aggression schützen, trat er, nicht besonders schnell, aber immerhin, seinen Stuhl unter sich weg und stand auf. Gottlieb war ein robust gebauter Mann, vom Alter waren nur gerade seine Schultern ein wenig gekrümmt, er trug eine lange dunkelblaue Schürze, aus deren großer Brusttasche Messschieber, Zimmermannsstift und Zollstock ragten, dazu eine Cordhose und Ärmelschoner über dem gestreiften Flanellhemd.
Mit seinen vom Holzstapeln schwieligen Händen tastete er blind und fahrig auf dem Schreibtisch herum.
Mit sehr viel Material kann ich in der Tat nicht dienen, sagte er und lächelte dazu sein zuvorkommendstes, fast unterwürfiges Händlerlächeln, und während er mit erschrockenem Blick weitersuchte, vergaß er, den Satz zu beenden.
Vielleicht lag das Gesuchte auf den morgens mit öligem Sägemehl gekehrten, schwarz gewordenen Schiffsplanken des Fußbodens.
Oder vielleicht oben auf dem mit Rechnungen und Geschäftsbüchern vollgestopften offenen Aktenschrank.
Wo ist mein Hut, fragte er sich halblaut und wie beiläufig.
Aber die Herkunft des Holzes, von dem ich rede, er setzte lebhaft und zugleich zerstreut den angefangenen Satz fort, kann ich belegen. Ein Material, das den Bedürfnissen des Herrn gewiss entgegenkäme. Für Schwemmholz habe ich noch nie so viel gezahlt, dafür habe ich Zeugen, ich will gleich zeigen, was ich meine, wenn der Herr belieben mir zu folgen.
Ich werde doch nicht ohne Hut gekommen sein, sagte er halblaut vor sich hin.
Falls es der Herr aber nicht persönlich besichtigen möchte, kann ich alles andere zeigen, das zu seiner Verfügung steht.
Es ist nicht viel, ich will nicht behaupten, dass es viel wäre.
Madzar verstand nicht recht, was der Jude redete.
Der konnte auf einmal seine Neugier nicht mehr beherrschen und fiel sich selbst ins Wort, ich schaue mir den Herrn an, ich beobachte ihn, aber wie ich es drehe und wende, der Herr scheint doch nicht von hier zu sein.
Madzar reagierte auch darauf nicht, er wollte nicht in eine Falle gelockt oder in ein Gespräch verwickelt werden, er schwieg, bis sich Gottlieb mit ihm in Richtung des Ausgangs in Bewegung setzte.
Man hörte das monotone Schlagen der Walzen der Lederfabrik, das gleichmäßige Rattern der weiter weg befindlichen Seidenspinnerei und den puffend und keuchend stromaufwärts arbeitenden Motor eines Fischerkahns.
Sonst gab es nichts Neues unter der Sonne, im Westen, hinter der hohen Ziegelmauer des Holzlagers, rumpelte ein Fuhrwerk vorüber, man hörte, wie es schwerfällig in die Farkas-Straße einbog und die Räder zwischen den einstöckigen, spitz hochragenden Häusern widerhallend quietschten und kreischten. Madzar hätte schwören können, dass es das Fuhrwerk von Pferdehändler-Zigeunern war, und dass neben dem Deichselpferd ein Fohlen trabte.
Alles war so, als hätte er es schon einmal erlebt.
Erst als sie aus dem Büro traten, nahm er zur Kenntnis, dass der Jude tatsächlich keine Kopfbedeckung trug.
Das kühle Lüftchen fuhr ihm durch das schüttere graue Haar, und wie sie die Treppe hinunterstiegen, sah Madzar die krankhaft leuchtenden Flecken seiner Kopfhaut. Noch nie hatte er ihn barhäuptig gesehen. Im Ausland hatte er oft mit Juden zu tun gehabt, sie eine Zeitlang genau beobachtet, wie um endlich zu merken, was es zu merken gab. Trotzdem war ihm nie aufgefallen, dass sie einen Hut tragen mussten. Madzar wurde stumm wie ein Kind. Der Jude hatte die Regeln verletzt. Als merkte Madzar zum ersten Mal im Leben, dass auch er alles so machte, wie es der Ritus verlangte. Zurückgekehrt in diese einstige Welt, wo sich nichts verändert hatte, wusste sein kindliches Ich nicht, was es mit einem Juden anfangen sollte, dessen Kopfhaut die Sonne selten sah.
So formuliert, war das Problem völlig sinnlos, Madzar musste
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