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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Gedanken war er schon zu weit gegangen, hatte schon Berechnungen angestellt und hätte eine Enttäuschung nur schwer ertragen. Zwei fünfzig, und er brauchte keinen Zentimeter mehr. Vor allem aber war er von der Farbe eingenommen. Das Holz war gründlich nachgedunkelt, und doch hatte sich seine Beschaffenheit, jedenfalls mit bloßem Auge gesehen, nicht verändert. Oder hatten sie es gedämpft, nach dem ersten Durchgang den Holzteer mit einem Zusatz ausgewaschen, getrocknet, dann in einem pneumatischen Heizkessel unter starkem Druck mit, sagen wir, Kreosot und einem raffinierten Öl aufgefüllt. Nicht undenkbar. Ein Pflanzenöl. Deswegen konnte sich seine Dichte, die Qualität seines Holzfleisches nicht mehr verändern, nicht verfaulen, von keinem Pilz befallen werden. Der Holzteer schlägt nicht als samtig schwarzer Schimmel an die Oberfläche durch.
    Man müsste es im Querschnitt sehen.
    Leinöl wahrscheinlich.
    Er war selbst einmal im Auftrag Mies van der Rohes zwecks Materialbeschaffung zum berühmten Semmeringer Betrieb gefahren, wo echtes Handwerk und keine Serienherstellung betrieben wurde. Er hatte mit dem uralten Stipiczka gesprochen, und, so erinnerte er sich, den Eindruck gehabt, aus dem würde er nie etwas Genaues herausbekommen. Mit seinem gedehnten, unwirschen Tonfall, den hervortretenden ausdruckslosen Augen, dem krankhaft prallen Bauch mit der darübergespannten blauen Arbeitsschürze hatte Stipiczka auf ihn gewirkt wie ein merkwürdiger Götze, den man besser nicht anspricht. Mal redete er unverständlich drauflos, als spräche er nur, damit man ihm nicht folgen konnte, dann wieder schwieg er. Wahrscheinlich hatte er ein Leben lang allem misstraut. Vielleicht nur dem Holz nicht. Menschen konnten ihm ja alles wegnehmen. Dem Holz hingegen gab er, was ihm zustand, was es sich nur wünschen konnte.
    Von dem werde ich gewiss nichts erfahren, wenn er überhaupt noch lebt.
    Er stellte sich vor, was für angenehme Überraschungen ihn erwarten würden, wenn er die schweren, dunklen Balken aufsägte. Oder was für höchst peinliche, eine nach der andern. Madzar fuhr jetzt doch mit dem Finger über eine Schwelle, hob ihn an die Nase, roch daran und fragte Gottlieb ganz leise, ob er sämtliche Maße des Materials habe.
    Aber selbstverständlich, und Gottlieb begann sie genauso leise aufzuzählen, wobei sich sofort herausstellte, dass sich Madzar mit seinem Augenmaß peinlich getäuscht hatte. Die Schwellen waren um ganze zehn Zentimeter kürzer. Beschämt beugte er sich noch näher heran, und er hatte den Eindruck, seine Nase nehme einen Geruch wahr, den man täglich mehrmals roch, einen ganz alltäglichen Chemikaliengeruch.
    Hingegen fand er den Querschnitt ideal.
    Auch er brummte unschlüssig.
    Das weicht von der Norm ab, oder ich erinnere mich nicht mehr recht an die Standardmaße.
    Er grübelte, versuchte sich an den Geruch der Chemikalie zu erinnern und ihn zu bestimmen, woher kenne ich den bloß. Wieder wurde er aufgeregt. Er versuchte den Geruch gewissermaßen aus dem anderer Chemikalien herauszulösen. Eher etwas Organisches als etwas Anorganisches.
    Wahrscheinlich eine Formaldehydverbindung.
    Er begann den Scheiterhaufen zu umkreisen, aber eigentlich eher, um mit seinem Geruchs- und Tastsinn allein zu sein und sich wieder sagen zu können, was habe ich doch für ein Schwein.
    Gottlieb folgte ihm nicht, er wollte diesen merkwürdigen Herrn nicht stören, den er weder der Kleidung noch dem Benehmen nach irgendwo unterbringen konnte.
    Belladonna kam ihm in den Sinn, von migränebefallenen Damen in verdunkelten Zimmern auf Zuckerwürfel getröpfelt, und Atropin, aber keins überzeugte ihn, zuunterst war der für organische Verbindungen typische scharfe Geruch.
    Das habe ich noch nie gehört, dass Stipiczka Eisenbahnschwellen herstellt, sagte er gereizt zum Händler, als er wieder hinter dem Haufen hervorkam.
    Und wenn ein solches Material seit Jahren hier herumliegt, tauchte die Frage wie ein Stachel auf, warum hat es dann noch niemand gekauft.
    Mich legst du nicht herein, Freundchen, da müsstest du früher aufstehen.
    Stipiczka macht keine Schwellen, wozu würde er Schwellen machen, antwortete der Händler beflissen, aber der Gewährsmann sagt, das hat die Eisenbahn speziell bei ihm bestellt, die Ungarische Staatsbahn. Man hätte es in Dombóvár machen können, aber es sind da, nicht wahr, extra Ansprüche aufgetaucht.
    Korrigieren Sie mich, wenn ich mich falsch erinnere, das sind doch Maße für

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