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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Stoß versetzt hätte. Er blieb im Schlamm liegen, der in der Nacht zusammen mit den Ausscheidungen, dem Erbrochenen und den Fliegen wieder gefror.
    Peix brachte viele um. Er stellte sie auf, komm mit, und als sie im großen mittäglichen Getropfe einigermaßen auf den Füßen standen, stieß er sie wieder zurück. Am meisten hatten die hübscheren Jungen zu fürchten, die er als Stubendienst zu sich aufs Revier nahm, so wie er selbst von Kammer aufgenommen worden war. Im Lager hieß es, er sei pervers, was in der Häftlingssprache bedeutete, dass er sie nicht gebrauchte, obwohl er es hätte tun können. Vielmehr fütterte er die hübschen Jungen, verwöhnte sie. Es gab solche, die er für eine Leberpastete an den Eisele verkaufte, um dann einen anderen aufzupäppeln. Sie mussten gar nichts tun, lagen herum, und während Peix für den Kammer schuftete, lachte er ihnen den ganzen Tag zu.
    Auch das kannte Kammer besser als sonst jemand, dieses schreckliche stumme Lachen.
    Eines schönen Tages dann waren sie ihm plötzlich verleidet, niemand hätte sagen können warum, und er wollte einen anderen. Kammer erlaubte ihm nie mehr als zwei aufs Mal, damit er das Krankenrevier nicht belastete. Sie rekrutierten sich vor allem aus den russischen Kriegsgefangenen oder den polnischen Zwangsarbeitern, die von den anderen getrennt gehalten wurden; die mordeten um ein paar Kartoffeln willen, um einen gefrorenen Apfel, um alles. Auch Peix hatte seine Karriere als gewöhnlicher Berufsverbrecher begonnen. Er war mit sechzehn wegen eines besonders grausam verübten Mords nach Buchenwald gekommen, wo Kammer einen Blick auf seine kaputtgeschlagene, vereiterte Hand warf, dann zufällig zu seinem Gesicht aufblickte und sich sagte, nein, vielleicht hat ja dieser Junge gemordet, aber ein Verbrecher ist er nicht; Peix versicherte ihm auch bereitwillig, nein, nicht er hatte die beiden alten Kunsthändler umgebracht, bei denen er und sein Freund eingebrochen waren, denn er hatte gleich gespürt, was Kammer hören wollte. Das Haus war leer gewesen. Sie wussten, wo sie die zwei großen Leistikow, auf die sich ihr Auftrag bezog, zu suchen hatten, und die beiden alten Schwuchteln waren bestimmt von ihren Jungs umgebracht worden. Kammer nahm ihn zu sich auf die Pathologie, woraus Peix unweigerlich den Schluss zog, dass er das Privileg mit seinem Körper zu bezahlen habe, und bis das Missverständnis geklärt war, liebten sie sich schon so, dass man sie nicht mehr hätte trennen können.
    Sie mussten sich trennen, was den Peix jetzt offensichtlich nicht interessierte oder jedenfalls in seiner wichtigen geschäftlichen Verhandlung nicht störte. Den miesen kleinen polnischen Spitzel, den Bulla, störte es schon eher, er tat, während das Lampenlicht sein Kinn scharf beleuchtete, krampfhaft so, als achtete er auf Peix, blinzelte aber unterdessen erschreckt zu Kammer hinüber, was passiert jetzt. Bulla hinkte stark, seine Kumpels hatten ihn einmal gepackt und aus dem oberen Stock der Wäscherei geworfen. Sie wollten es so anstellen, dass er aufs Rückgrat fiel, aber das klappte nicht. Er war Eiseles persönlicher Spion. Wenn ihm der Kammer seine schauderhaften offenen Brüche nicht geflickt und der Peix ihn wider alle Überzeugung nicht so hingebungsvoll gepflegt hätte, wäre er nie mehr auf die Füße gekommen. Peix wollte ihn aus dem Weg räumen, gebt ihm doch ein Beruhigungsmittel, was in der Häftlingssprache bedeutete, und damit hat sich’s dann.
    Wenn der Kammer nicht wolle, tue er’s.
    Das solle er für einen anderen, würdigeren Patienten reservieren, sagte Kammer, und seine Ruhe, seine Sicherheit in noch so kritischen Situationen pflegten Peix zu beruhigen. Wegen eines solchen sinnlosen Mords wollte sich Kammer nicht mit dem Eisele anlegen. Jemand anders würde es sowieso erledigen. Spitzel lebten nicht lange, die hielten sich nie länger als ein halbes Jahr, allerdings stürzten sie in dieser Zeit genügend Menschen ins Verderben. Peix ließ auch die hübschen Jungen einen nach dem andern verschwinden, wenn sie rund geworden und ihm über waren. Er sagte, er höre sie husten, sie sollen sich auf der Isolierstation melden, mit Tuberkulose laufe man nicht herum, und dort wurden sie dann von den SS -Ärzten innerhalb von ein paar Tagen ausnahmslos erledigt. Wo immer Peix auftauchte, passten alle auf, ja nicht zu husten, nicht einmal zufällig. Besonders die starken, großgewachsenen Männer hatten ihn zu fürchten. Kammer sah ihm die

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