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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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respektgebietende ältere Herr, der die Spuren der Schlacht um Verdun im Gesicht trug, signalisierte erschrocken mit dem Finger, der Geistliche solle auf jedes seiner Worte und auf jede seiner Bewegungen achtgeben. Man hatte damals die vom Schießpulver zerfetzten Metallsplitter nicht aus seinen Kopfwunden entfernen können, für den Rest seines Lebens markierten sie auf seiner Haut die gerippte Tiefe der Narben.
    Es war nicht sicher, ob der beschädigte Dachstuhl das ungeheure Gewicht der Glocke über ihnen noch lange tragen würde.
    Als auch am dritten Tag nichts geschah, in ihren Ohren allerdings das Heer munter weitermarschierte, während Isolde in tiefem Liebesleid unablässig sterben musste, beschlossen die Stadträte, alles demobilisierte und in die Heimat entlassene Schwerverwundete, auf eigene Verantwortung zu handeln. Sie befürchteten Epidemien und Hungersnot. Wenn die Felder nicht rechtzeitig für die Saat bestellt wurden, war es aus mit ihnen. Damit niemand in Versuchung kam, wurden das Saatgut und die Setzkartoffeln im städtischen Lagerhaus verwahrt. Zuerst drosselte einer von ihnen vorsichtig die Lautstärke des Radios, wie um auszuprobieren, ob die anderen einen solchen Grad von Ungehorsam schluckten. Dann erhob sich mühsam ein anderer und stellte mitten in Isoldes dramatischer Not den Sender mit einer so heftigen Bewegung ab, als hätten seine Nerven genau in dem Augenblick versagt.
    In der peinlichen Stille, über die insgeheim jeder froh war, brauchten sie auch über die nächsten Aufgaben nicht viele Worte zu verlieren.
    Die Wachmannschaft des nahegelegenen Lagers hatte die marschfähigen Zwangsarbeiter vor gut einer Woche weggetrieben. Einige der Aufseher hatten Zivilkleidung angelegt und sich auf ihren Höfen in der Umgebung versteckt.
    Die Stadträte wussten schon, was zu erwarten und mit welchen Folgen zu rechnen war.
    Bevor das Lager evakuiert wurde, hatten sie alle Marschuntauglichen in die zwei kleinen Krankenbaracken gepfercht, Türen und Fenster vernagelt, dann aber die beiden Gebäude anscheinend nicht sorgfältig genug in Brand gesetzt.
    Einer der Aufseher hatte im letzten Augenblick, bevor er sich davonmachte, einem anderen, zurückbleibenden Aufseher, seinem Bruder, eine Kartonschachtel übergeben, er solle sie verstecken.
    Dieser Döhring, ein Mann mittleren Alters und von schwerfälligem Gang, machte sich mit dem Fahrrad zu seinem Hof auf, die Schachtel unter seiner Regenpelerine versteckt. Das Feuer war in langen gelben Zungen hochgeflackert, das Benzin darin blau und lila zischend, drinnen hatten sie wie die Tiere gewinselt und gebrüllt, und gekreischt, obwohl es Männer waren, die Wand hatte gekracht, bis sie sich im Rauch zu Tode trampelten. Das Ganze hatte nicht länger als zwanzig Minuten gedauert.
    Oder sie hatten etwas nicht einkalkuliert.
    Auch das blieb lange ein Rätsel.
    Drinnen glühte und rußte es noch eine Woche lang, draußen hingegen verloschen die Flammen, kaum dass sie abgezogen waren.
    Eine Weile waren sie gemeinsam zu Fuß unterwegs, unter dem nachtdunklen Himmel, den zuweilen das ferne Dröhnen des Schlachtenlärms erzittern ließ. An jeder Wegkreuzung blieb einer zurück, bis sie allesamt im Nebel der Ebene verschwunden waren.
    In der Zwischenzeit waren die Glasscheiben vor Hitze gesprungen, auch die Bretter brannten von den zugenagelten Fenstern ab, von den Rahmen sengte es die Farbe weg, aber sie fingen kein Feuer, und obwohl die Decke über der langsamen Glut der Körper einstürzte, wurden auch die Balken nicht von den Flammen erfasst. Aus den beiden flachen Gebäuden quoll stinkender Rauch in die dunstschwere Luft.
    Einem Erlass der Stadträte gemäß mussten die Hunde angebunden werden.
    Katzen, Vögel und Ratten ließen sich nicht anbinden, die gingen ihre eigenen Wege.
    Auch war mit dem baldigen Ende der Nachtfröste zu rechnen.
    Der Radfahrer machte einen großen Umweg, quer über die Ebene, auf Feldwegen und kaum erkennbaren Pfaden. Die Siedlungen mied er, um unbemerkt anzukommen.
    Er schwitzte stark, der Nebel legte sich eiskalt auf sein Gesicht, er begegnete niemandem. Sein eigenes angestrengtes Keuchen hörte er erst, als er abstieg. Er hob das Fahrrad in einen Kahn, machte ihn vom Steg los, ruderte ans andere Ufer hinüber. Zu seinem Glück breitete sich der abendliche Dunst in dichten Schwaden über den See, dampfte geradezu, auch das Platschen der Ruder, das Quietschen der Gabeln waren nicht weit zu hören. Allmählich schien er zu

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