Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)

anscheinend ist dir diese Frage am unangenehmsten.«
    »Na gut, ich schätze, das hast du dir nach diesen harten Tagen verdient. Was willst du wissen?«
    Ich überlege, welche Frage ich ihm stellen soll. Denn ich will so vieles erfahren, doch das meiste hat unmittelbar mit dem Parali zu tun, also muss ich mir andere Fragen überlegen. Ich will diese Chance, etwas Wichtiges erfahren zu können, nicht für eine banale Frage vergeuden.
    »Was ist die Organisation?«, frage ich schließlich.
    Marco scheint erleichtert zu sein. »Ich hoffe, du hast Zeit, denn die Antwort wird sehr umfangreich. Jedoch versuche ich, mich kurzzufassen«, sagt er mit einem angedeuteten Lächeln. »Wo soll ich am besten anfangen? Die Organisation besteht aus vielen Mitgliedern und ist auf der ganzen Welt vertreten. Die höheren Posten belegen Politiker, Geschäftsleute und renommierte Wissenschaftler. Das Ziel der Organisation ist es, die Menschheit zu revolutionieren. Sie haben eine Vision: Sie wollen, dass – genau wie im Parallelum – jeder eine übernatürliche Fähigkeit besitzt. Es würde keine unheilbaren Krankheiten mehr geben, und jeder würde ein freies, sorgenloses Leben führen können. So zumindest die Vision.«
    »Aber ist das nicht etwas Gutes? Ich meine, wenn jeder eine so unglaubliche Fähigkeit wie Heilkräfte besitzen würde …«, sage ich und muss an meinen Vater denken. Wenn das wirklich möglich wäre, hätte er geheilt werden können und würde jetzt immer noch leben.
    »Am Anfang habe ich genauso gedacht wie du. Die Vision scheint positiv zu sein, doch die Realität sieht anders aus. Nicht alle Menschen sind für außergewöhnliche Fähigkeiten geeignet. Viele scheitern rein körperlich, doch die meisten halten es seelisch nicht durch. Die Fähigkeiten verlangen viel ab, wenn der Körper sie jedoch ablehnt, hat dies fatale Folgen. Man kann es mit einer starken allergischen Reaktion vergleichen. All diesen Menschen wird es genauso ergehen wie den Opfern, die du und die Polizei gefunden haben. Es werden Millionen Menschen sterben müssen, um diese Vision zu realisieren. Die Umsetzung dieser Vision wird gravierende Folgen in der Zukunft haben: Keiner wird mehr sterben, und immer mehr Menschen mit besonderen Fähigkeiten werden geboren. Überbevölkerung und zu knappe Ressourcen werden das Ergebnis sein«, erzählt Marco besorgt.
    »Das ist ja schrecklich! Wie überleben denn die Menschen im Parallelum?«, frage ich schockiert.
    »Durch die immer geringer werdenden Ressourcen ist die Nahrung sehr knapp. Viele Nutztiere sind ausgestorben. Am Anfang waren die Fähigkeiten vielleicht nützlich, doch im Laufe der Jahrzehnte wurde es immer schlimmer. Es ist niemand mehr gestorben, und immer mehr Kinder wurden geboren.«
    »Im Laufe der Jahrzehnte? Gibt es die Fähigkeiten denn nicht schon immer im Parallelum?«, frage ich, denn ich dachte, die Menschen dort seien mit speziellen Fähigkeiten geboren worden.
    »Nein, in Wirklichkeit war es ein Experiment. Im Parallelum sind Forschung, Medizin und Technik viel weiter als hier. In der Krebsforschung wurde vor etwa zwei Jahrhunderten von Forschern ein Stoff entdeckt, der dem Menschen erlaubt, einen größeren Teil seines Gehirns zu nutzen. Sie nennen es Zypernixin. Dadurch wurden Fähigkeiten hervorgerufen, die der Mensch zwar schon immer hatte, doch nie anwenden konnte, da er einfach keinen Zugriff darauf hatte. Der Stoff wird dann im Körper weiter produziert. Doch genau wie bei Medikamenten gibt es Menschen, die es vertragen, und andere, die negativ, also allergisch, darauf reagieren. Unter den ersten Versuchsobjekten starben sehr viele, und die Forscher wollten das Experiment schon für gescheitert erklären, als man eine erstaunliche Entdeckung machte: Bei einem Objekt wurde festgestellt, dass sich seine Zellen regenerierten. Das war der Durchbruch. In Form von Impfungen wurde dieser Stoff dann dem Volk als Prophylaxe gegen Krebs gespritzt. Daraufhin starben sehr viele daran, andere entwickelten bestimmte Fähigkeiten und vererbten sie weiter.«
    »Und dann wurden die Menschen immer mehr«, sage ich, und Marco nickt.
    »Die einzelnen Regierungen haben radikale Maßnahmen ergriffen: Es dürfen nur Kinder geboren werden, wenn sich ein anderer dafür opfert. Nur Menschen in einer hohen Position oder mit unverzichtbaren Fähigkeiten dürfen geheilt werden.«
    »Wenn die Organisation weiß, wie es in der Zukunft sein wird, warum wollen sie denn, dass es auch auf unserer Welt dazu