Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)
doch ich finde, du solltest es wissen, bevor du eine so wichtige Entscheidung triffst, die dein Leben verändern wird.«
»Wer ist sie?«, frage ich und schlucke. Ich habe einen Verdacht. Als ich bei ihr war, habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, doch die Schmuckschachtel war ein und dieselbe. Auch ihre Reaktion, als ich ihr erzählt hatte, dass mir Giovanni unterstellt, ich wäre ihm fremdgegangen, war mehr als merkwürdig.
Alberto zögert, doch schließlich spricht er das aus, was ich denke: »Es ist Paola.« Ihm ist es sichtlich unangenehm, und er weiß nicht, was er noch sagen soll.
Ich versuche gefasst zu bleiben – trotz der unzähligen Gefühle, die in mir hochkommen. »Danke für deine Ehrlichkeit. Ich muss jetzt los.« Damit stehe ich auf und gehe zur Tür.
»Eva, das tut mir wirklich sehr leid.«
Ich steige ins Auto und bleibe einige Minuten im Dunkeln sitzen. Mein Freund und meine beste Freundin – ein Klischee. Von Paola hätte ich so etwas ahnen können, denn in der Schule war sie immer diejenige gewesen, die ihren Willen bekommen hatte. Sie hinterging nicht nur einmal eine Freundschaft, doch von Giovanni bin ich mehr als enttäuscht. Ich starte den Motor und fahre los.
Nach wenigen Minuten bin ich an dem Ort, den ich immer aufsuche, wenn ich ratlos bin. Ich parke und gehe hinein. Es ist kühl und still. Der Vollmond erhellt den Friedhof mit silbernem Licht. Ich setze mich auf die Erde vor dem Grab meines Vaters und starre in die Leere. Hier erhoffe ich mir Antworten auf all die Fragen, die in meinem Kopf schwirren, doch vergeblich.
»Wie fühlst du dich?«, fragt Marco, der plötzlich neben mir steht, und ich schrecke zurück.
»Warum habe ich den Ruf nicht gehört?«
»Weil ich den Ruf nicht ausgelöst habe. Ich wusste genau, wo ich dich finde.«
»Woher?«, frage ich perplex.
»Ich habe dich tagelang beobachtet und festgestellt, dass du jedes Mal, wenn es ein Problem gibt, das du nicht sofort lösen kannst, hierherkommst«, erklärt er und setzt sich neben mich auf den Boden.
Ich nicke und starre wieder in die Leere.
»Hast du eine Lösung gefunden?«, fragt er nach kurzer Zeit.
»Nein. Mein Vater hatte immer eine Lösung, doch ich war nie gut darin, eine zu finden.«
»Ich habe die Lösung für dein gegenwertiges Problem: Vergiss ihn.«
»Du hast davon gewusst, nicht wahr? Deshalb hast du auch darauf bestanden, dass ich mit Alberto spreche.«
Marco nickt.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?«
»Hättest du mir geglaubt?«, fragt er, und ich hebe die Schultern. »Da hast du deine Antwort. Außerdem hielt ich es für richtig, dass du von Alberto erfährst, dass auch er ein Wächter war.«
»Er hat gesagt, er habe es abgelehnt. Ist so etwas möglich?« Marco nickt.
»Wieso weiß ich nichts davon?«, frage ich verärgert.
»Hast du etwa vor, es abzulehnen? Ich fand Albertos Entscheidung viel zu voreilig. Er wäre ein guter Wächter geworden, genau wie du eine gute Wächterin sein wirst.«
»Ich habe kaum mein eigenes Leben im Griff, wie soll ich das von anderen beschützen?«, platzt es aus mir heraus. So unfassbar viele Gefühle durchfluten mein Inneres. Ich vergrabe das Gesicht in meine Hände.
Marco legt seine Arme um mich und zieht mich an sich. »Ich habe genau dasselbe gedacht, als ich plötzlich meine Fähigkeiten erhalten habe und mir Calia alles erklärt hat. Du wirst lernen, mit allem umzugehen, und wirst später deine Gaben nicht mehr missen wollen. Ich werde für dich da sein und dir bei allem zur Seite stehen.«
»Es sind nicht nur die Gaben, um die ich mich sorge«, erwidere ich und löse mich aus seiner Umarmung.
»Ich weiß, es geht vor allem um deinen Vater und auch um diesen Heuchler. Du solltest wirklich nicht mehr an ihn denken! Und deinen Vater werden wir retten, das verspreche ich dir. Doch erst einmal solltest du dich um deine Gaben kümmern.«
»Aber zuerst brauche ich Erklärungen. Ich habe so viele unbeantwortete Fragen«, sage ich, während ich vom kalten Boden aufstehe. Noch einmal wende ich mich zum Grabstein um und gehe dann in Richtung Ausgang.
»Wohin willst du?«, ruft Marco hinter mir.
Ich brauche Antworten, und wenn ich von ihm keine bekomme, muss ich woanders danach suchen. »Ich werde jetzt zu Giovanni fahren. Wenn du mich bitte allein lassen könntest?«, bitte ich Marco, der jetzt neben mir läuft.
»Du solltest dich jetzt ausruhen; und wenn du morgen immer noch den Drang verspürst, mit ihm zu sprechen, dann kannst du das tun.
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