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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Glastür aufhalte und wir in die Kälte treten, die uns sofort wie Wasser umschließt, sagt er ziemlich ernst: »Weißt du, wer Tiere wirklich mag, der lässt sie in Ruhe und hält sich keines.« Ich sehe ihn an und nicke. Er starrt beim Gehen auf den Boden und wirkt verärgert und vernünftig zugleich. Zu diesem Thema hat er eine ganz klare Meinung. Und ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein.
    Dann flüstert er, wie zu sich selbst, »Tsunami«, schüttelt den Kopf und stößt einen lautlosen, traurigen Lacher aus. Immer wenn er so etwas Profundes vom Stapel lässt, bin ich ein paar Sekunden wie vor den Kopf gestoßen. Seine seltsam kluge, dezidierte Haltung gegenüber dem Thema Tier und Mensch lassen mich ihn fast noch lieber haben. Er ist beinahe ein kleiner militanter Animal Rights Freak. Aber woher hat er das? Soweit mir bekannt ist, war es keine Bezugsperson aus dem Heim oder dem schulischen Umfeld, die sein Interesse für Tiere und seine mitfühlende Anteilnahme geweckt hat. Nicht, dass ich wüsste. Ich gehe davon aus, dass sich manche individuellen Eigenschaften aus dem eigenen Charakter heraus entwickeln, von den äußeren Umständen völlig unabhängig, unbeeinflussbar und vor allem unabwendbar. So bin ich ständig dabei, Fynn, wie ich es auch bei mir selbst tue, auf diese grundlegenden Wesenszüge hin zu analysieren. Wenn man seine eigenen Ursprünge, seine Eltern, seine Herkunft nicht kennt, befindet man sich in einem chronischen Dilemma. Es bleibt einem nur der Blick nach innen, als Versuch zu ermitteln, aus wessen Gestalt sich das eigene Ich zusammensetzen könnte. Eine interne Spurensuche.
    Was ist angeboren, was ist anerzogen? Urfrage.
    Wir laufen durch das Schmuddelwetter. Obwohl es heute nicht kälter ist als gestern, fühlt es sich deutlich kälter an. Beißend.Verstehe einer, weshalb die theoretisch exakt gleiche Außentemperatur sich mal mild, ein andermal rau anfühlt.
    Wir überholen die blöde Tante und den blöden Onkel von vorhin, und ich merke, wie sie uns erneut unverhohlen mustern. Das sind wir gewöhnt. Weil man sehen kann, dass wir nicht Vater und Sohn sind. Ich bin nämlich kein Schwarzer. Und Fynn ist so dunkel, der geht nicht für einen Rassenmix durch.

14
    Wir stapfen schweigend weiter durch den feuchten Matsch zum Auto. Dauert ein paar Minuten, wir haben vorhin einfach keinen Parkplatz gefunden, sogar das Parkhaus war voll. Jetzt stehen wir eben am Arsch der Welt.
    Fynn ist heute von Anfang an besorgniserregend einsilbig. Und mysteriös ernst. Ich lege ihm im Gehen die Hand auf die Schulter, nur kurz, so als Zwischenmeldung, nehme sie wieder weg und knote meinen Schal zurecht. Ich schalte nebenbei mein Handy ein und bekomme den Eingang neunzehn neuer Nachrichten angezeigt. Neunzehn? In drei Stunden? Während ich meine Mailbox anwähle, gehe ich über eine rote Fußgängerampel, und Fynn ruft: »Nicht! Ist rot!« Schon mitten auf der Fahrbahn schaue ich links und rechts, das Handy bereits am Ohr, dann drehe ich mich ihm zu und rufe: »Oh, stimmt, du hast recht. Na komm schon!« Ich mache mit dem anderen Arm eine einholende Bewegung. Er bleibt eisern stehen. Während wir uns wartend ansehen, ich auf der einen, er auf der anderen Straßenseite, höre ich, dass mir Esther fünf Nachrichten hinterlassen und Ben mir x-mal draufgesprochen hat. Und noch ein paar andere aus dem Büro. Auch meine Sekretärin. Alle sagen was von »mich vorwarnen«.
    Nervosität steigt auf. Ignorieren. Mich auf Fynn konzentrieren.
    Auch im Auto spricht er kein Wort. Ich muntere ihn halbherzig auf, kann mich nur schwer konzentrieren. Meine Versuche machen auf ihn nicht den geringsten Eindruck.
    »Nimm und besorg du alles«, flüstere ich laut und drücke Fynn meinen Geldbeutel in die Hand, als wir gerade das Café betreten und mein Handy klingelt. Der dicke Filzvorhang mit speckiger Lederleiste, den italienische Lokale so gern hinter der Tür hängen haben, rutscht gerade wie Gelee von meiner linken Schulter, als ich abhebe und sage: »Robert, hallo, schön, von Ihnen zu hören. Haben Sie meinen Bericht erhalten?«
    Gerade noch bemerke ich die zwei Stufen, auf denen ich tiefer in den Raum vordringe, als er lospoltert: »Sind Sie vollkommen verrückt geworden? Sagen Sie, möchten Sie mich veräppeln?«, dringt es aus dem Hörer. Ich halte ihn etwas weg vom Ohr. Zu laut. Dann antworte ich: »Was meinen Sie denn? Wovon …?«
    »Hören Sie, Conrad, ich weiß nicht, was Sie da für eine Nummer abziehen, aber wenn

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