Paranoia
querverlegten Teppichboden, den ich mir nicht so hart vorgestellt hätte. Komme von einer überheizten Zone in eine unterkühlte. Stecke meinen vorbereiteten Ausweis wieder ein. Hat keinen interessiert. Was mich ein wenig rührt. Verbuche beim Treffen des Schlitzes meiner Innentasche einige Fehlversuche. Weil mir doch so schlecht ist …
Das könnte, fällt mir gerade ein, auch an dem Joghurt liegen, den ich an Bord gegessen habe. Und an den Blähungen, die mich zusätzlich fertigmachen. Laktose-Intoleranz. Für Milchprodukte muss ich büßen. Jedes Mal. Dabei mag ich Milchprodukte so gern. Nicht alles, was man mag, ist gut für einen.
»Connecting flight to Nowosibirsk here please«, ruft ein grauhaariger Mann in Uniform. Typisch russisches Gesicht, breit, weich und doch wild. Ich folge ihm.
In der länderbezogenen Selbstmordstatistik nimmt Russland Platz 3 ein. Litauen auf Rang 1. Im gesamten Osten ist Suizid äußerst beliebt: Ungarn, Slowenien, Kasachstan, Lettland, Ukraine. Jedoch auch in Japan, Schweden und Weißrussland. In Deutschland nehmen sich jährlich ungefähr 12 000 Menschen das Leben.
Ich trotte dem Uniformierten hinterher. Bin wohl der einzig Unglückselige mit dieser Umsteigeverbindung. Hinter vorgehaltener Hand gähne ich so ein tiefes Übelkeitsgähnen.Ich wundere mich über die Hand vor dem Mund. Sieht mich ja keiner.
Ich stelle meine Armbanduhr um fünf Stunden vor. Scheiße, ist mir schlecht.
25
Als die Limousine sich in Bewegung setzt, öffne ich den Ordner und ackere mich durch die Unterlagen. Der schwarze Mercedes Zwölfzylinder mit seinem Fünf-Liter-Motor rast durch die matschigen Straßen. Es ist kühler geworden und schneit seit vorgestern ununterbrochen. Der Fahrer holt mich jeden Morgen um die gleiche Zeit ab, seit sechs Tagen. Er trägt eine Schildkappe. Wie sämtliche Privatchauffeure weltweit hat er den Blick stoisch und angewidert zugleich geradeaus in das immer selbe Nichts gerichtet. Im Wagen riecht es nach russischem Männerschweiß der Güteklasse D. Immer wenn eine besonders intensive Wolke um meine mittlerweile kaum mehr verstopfte Nase weht, sieht das blasse Grün seines Jacketts irgendwie noch scheußlicher aus. Wenn ich dann das Fenster einen Spalt öffne, steigt mein Atem gleich in kleinen Wölkchen auf. Irre kalt draußen.
Nach 20 Minuten Fahrtzeit durch ödes sibirisches Niemandsland und nachdem wir die Schranke an der Einfahrt des Industriegeländes passiert haben, kommen wir vor der Fertigungshalle an. Eine mehrere Hektar große Stahlkonstruktion, ähnlich einem überdimensionierten Flugzeughangar, in der Trägerteile für Raketensysteme und Militärsatelliten spezialangefertigt werden. Ein Security-Mann in dunklem Anzug, mit Hörer im Ohr und Halfter unterm Jackett, der Gewichtestemmen zu seiner Lieblingsbeschäftigung zählt, öffnet mir die Tür des Fonds, und ich springe heraus und laufe eilig zum Eingangstor,wo mir ein weiterer identisch gekleideter Zerberus mit taudicken Oberarmen die Drahtglastür aufhält. Ich gleite hinein wie ein Luftzug. Im gleißend weißen Licht dreier Deckenstrahler wird mein Körper von einer Dame in unvermeidlichem Schwarz mit einem Detektor in Form einer Fliegenklatsche abgesucht. Sie bläst dabei mitfühlend die Backen auf. Ich füttere ein Magnetlesegerät mit einer Plastikkarte, es macht tütüt-piep-tüt, und der Fahrstuhl befördert mich in ein Kellergeschoß.
Hier probe ich also meinen Alleingang und setze den Startpunkt für meine lang geplante Selbständigkeit. Bei meinem Kunden handelt es sich um MARISCHKA Inc., was ein sehr viel niedlicherer Name ist, als die Firma, die dahinter steckt, inhaltlich und umsatzbezogen darstellt. Den patriarchalischen Chef und Namensgeber kenne ich persönlich aus vorangegangenen Projekten, bei denen Lutz & Wendelen beauftragt wurden, Marischkas Umsatzprobleme auf dem südamerikanischen Markt zu bekämpfen. Bei einem kürzlich in Dubai abgehaltenen Meeting gelang es mir schließlich, ihn L & W komplett auszuspannen und davon zu überzeugen, mich ein großangelegtes Leistungssteigerungskonzept mit einem eigenen Team erarbeiten zu lassen. Zu Sonderkonditionen als Anreiz, versteht sich. Ein Festpreisansatz für meine zweiwöchige Analyse. Um meinen Fuß in die Tür zu bekommen. Richtig gewinnträchtig wird sowieso immer erst die darauffolgende Phase, wenn wir unser empfohlenes Konzept auch umsetzen. Da rechnen wir dann branchenüblich nach der Kostenvoranschlag-Variante ab, die wir wie
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