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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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inständig zu hassen. Ich glaube, er trägt Plateausohlen. Er sagt: »Kein Grund zur Sorge, Herr Dr. Peng, kein Grund zur Sorge.« Eine sonderbare Bemerkung.Nach einer kurzen Pause nicke ich langsam und fokussiere wieder die Gazette von vorhin, die jetzt auf dem Tisch zwischen uns liegt. Eine Tageszeitung namens »Trud«, auf deren Titelseite immer noch mein Bild prangt, direkt unter dem Foto des nächtlich beleuchteten Flugzeugs samt Sprengloch. Die Schrift kann ich nicht lesen. Ich starre auf mein Zeitungsbild, das mich mit schmutzigem Gesicht und zerknautschtem Hemdkragen zeigt, von dem ich keine Ahnung habe, wer es wann und wie und wo heute Nacht aufgenommen haben könnte. Sieht noch dazu so aus, als sei es aus kürzester Entfernung gemacht worden. Kann es sein, dass ich ziemlich debil aussehe? Wie auf einem schlechten Trip hängengeblieben. Anders gefragt, sehe ich immer so aus? Auch wenn das jetzt weniger eine Rolle spielt, schießt es mir trotzdem durch den Kopf: Da bin ich mal auf der Titelseite eines Weltblatts, und dann hauen die mir ein so unvorteilhaftes Foto rein. Auch noch mit Albinohasen-Augen. Hab ich so einen großen Zinken? Nein, oder? Das ist die Perspektive.
    Startende und landende Flugzeuge ziehen dauernd über uns hinweg. Wir sitzen hier wohl ziemlich nah an der Einflugschneise.
    Eine blonde Frau tritt ein, eine reichlich aufgeblasene Henne, zwei, drei Kilo mehr könnten nicht schaden. Sie legt Herrn P eine Diskette auf den Tisch und verschwindet. Gleichzeitig kommen zwei Männer herein, andere als die, die uns eben am Tisch abgeholt haben. Finstere Gestalten, kahlgeschoren, in schwarzen T-Shirts unter ihren Sakkos und mit voll verspiegelten Sonnenbrillen. Beide sehen einfältig aus. Sie postieren sich hinter P, der mir gegenübersitzt. Drei gegen einen. Die Haut des einen sieht aus wie nach einem Säureattentat. Nur eine Vermutung, aber ich möchte nicht dagegen wetten.
    Zwischen uns ein Schreibtisch mit Lampe und grauem Telefon. Und einem Kassettenrecorder samt Mikrofon. Er drücktauf die Record-Taste und sieht mich an, ob ich das mitbekomme. Ich nehme an, das Ausbleiben meines Widerspruchs ist die Einwilligungserklärung für eine Gesprächsaufzeichnung. Jetzt fühle ich mich endlich angekommen in einer Verhörsituation mit KGB-Touch. Die vergangenen fünf Minuten hat er mich ein paar Einzelheiten über das Flugzeugunglück erfahren lassen. Terroranschlag, Tellerbombe, Fehlzündung, noch kein Bekennerschreiben, höchstwahrscheinlich Separatisten. Nationale Angelegenheit, aber internationale Aufmerksamkeit. Großes Medieninteresse, doch man hält sich mit Informationen noch zurück. Wohl, weil man kaum welche hat. Mittlerweile sind drei Tote zu beklagen. Eine Frau hat ihr Kind verloren. Sonst alle außer Lebensgefahr. Schön. Und was hat das mit mir zu tun?
    Herr P sieht auf seine Uhr und sagt: »In vierzig Minuten beginnt unsere Pressekonferenz.«
    Pressekonferenz? Ich verarbeite diese Informationen schweigend.
    Was hat das mit mir zu tun? Eine endlose Reihe vollkommen belangloser Fragen folgt. Dauer meines bisherigen Aufenthalts, Ort meiner Unterkunft, Menge an mitgeführtem Bargeld, Drogen, politische Gesinnung, usw. Erwartet er, ich würde seine Erkundigung, ob ich einer terroristischen Vereinigung angehöre, bejahen, wenn dem so wäre? Zutreffendes bitte ankreuzen?
    Immer wieder dreht er sich um, wenn ich antworte, und durchquert den Raum mit auf dem Rücken verschränkten Armen. Er weiß, dass meine Augen ihm folgen.
    Aus der Art, wie er fragt, glaube ich, schlussfolgern zu können, dass meine persönlichen Daten bereits durchleuchtet wurden und er seine Liste nur noch der Form halber abarbeitet. Die Antworten kennt er längst. Mit einer Variation der Bedeutung des Worts Ja beantworte ich alles, was er noch wissenwill. Lauter Fragen, die ich ihn schon habe stellen hören, bevor ich hier reinkam.
    Der Kassettenrecorder läuft immer weiter und hört zu. Dann schlägt der Blitz ein. Ein Reflux-Anfall lässt mich lauthals abhusten. Magensäure schießt mir in den Hals, die brennende Säure. Das Frühstück war wirklich nichts für mich und meinen feinfühligen Magen. Vier harte, stoßweise Husteneruptionen. Mich schüttelt es regelrecht durch. Das hätten wir also auch auf Band.
    Die beiden Schießbudenfiguren mit ihren jämmerlichen Brillen stehen stumm und bewegungslos da. Sie könnten sonst wer sein. Weiß der Kuckuck, wie viele es von denen im sowjetischen Staatsdienst gibt. Ich fahre

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