Parasit
die Treppe hoch und ließ sich ein. Die Wärme im Inneren war wundervoll.
Helen musste ein Räucherstäbchen angezündet haben. Trotz der frischen Luft, die durch die offenen Fenster hineinwehte, hing ein schwacher Pinienduft in der Luft.
Durch den Spalt unter Helens Tür drang kein Licht mehr hervor.
Alison hatte erwartet, dass Helen noch auf sein würde, und gierig auf einen Bericht über die Ereignisse des Abends wartete. Aber es musste schon nach elf sein. Da sie morgen früh um acht ein Seminar hatte, hatte sie sich wohl gegen ihre Neugier entschieden und war schlafen gegangen.
Im trüben Licht durch die Fenster tastete sich Alison durch den Flur und ins Badezimmer.
Sie wusch sich das Gesicht. Putzte sich die Zähne. Ging aufs Klo.
Sie stand einen Moment lang in der Badezimmertür und orientierte sich, dann knipste sie das Licht aus und stieg langsam die Treppe hoch, mit einer Hand auf dem Geländer.
Ihr Zimmer unter dem Dach, mit dem grauen Licht, das durch das einzige Fenster hereinfiel, erschien ihr nach der Dunkelheit auf der Treppe fast hell. Die offenen Vorhänge wehten sanft im Luftzug. Aber auf diese Entfernung spürte
Alison den Zug überhaupt nicht. Im Raum war es stickig, noch schlimmer, als sie erwartet hatte.
Himmel oder Hölle, dachte sie. Entweder musst du schwitzen oder du erfrierst.
Sie ließ ihre Handtasche zu Boden gleiten, aus dem Weg, damit sie nicht darüber stolperte, wenn sie später noch einmal auf die Toilette musste.
Dann zog sie die Bluse aus und ließ sie auf den Boden fallen. Sie knöpfte ihre Shorts auf. Sie zog sie zusammen mit ihrem Slip herunter und ließ sie liegen, wo sie waren.
In dem Raum war es immer noch ungemütlich stickig, aber sie konnte einen schwachen Windhauch auf der nackten Haut, spüren.
Mit einem Blick über ihre Schulter machte sie einen Schritt zurück zur Tür ihres Kleiderschranks und lehnte sich dagegen.
Die Tür flog zu. Sie zuckte zusammen und hielt den Atem an. Sie war genauso erschrocken, dass ihre Stütze plötzlich nachgegeben hatte, wie über das laute Geräusch.
Sie holte tief und unsicher Luft.
Sie erprobte mit dem Hintern die Tür. Jetzt war sie definitiv zu.
Das glatte, lackierte Holz war kühl auf ihrer Haut. Sie lehnte sich dagegen, hob ein Bein und zog sich den Schuh und den Socken aus. Dann machte sie das gleiche mit dem anderen Bein.
Sie öffnete eine Schublade ihrer Kommode und fuhr mit der Hand durch die Kleidung. Ihre Finger glitten über den samtigen Stoff ihres neuen Négligés. Es war dünner als die anderen und ideal für eine Nacht wie diese. Sie nahm es heraus, trug es ans andere Ende des Bettes und stand vor dem Fenster.
Der schwache Lufthauch wehte hinein und streichelte ihre Haut. Noch vor kurzem hatte die kalte Luft sie bis auf die Knochen frieren lassen. Jetzt war sie wunderbar. Sie glitt an Alisons Schenkeln entlang, streichelte ihre Beine, liebkoste ihren Bauch, glitt über ihre Brüste und unter ihren Armen hindurch. Sie ließ das Nachthemd fallen. Sie stemmte die Hände oben an den Fensterrahmen, spreizte die Beine und schloss die Augen.
Der sanfte Hauch der Brise strömte über sie hinweg.
30
Nachdem er die Toilettenspülung gehört hatte, zählte Roland bis sechzig. Und das tat er weder und wieder. Dann ließ er seine Gedanken schweifen. Er stellte sich Alison in ihrer Dachkammer vor, wie sie sich auszog, wie sie zu Bett ging. In seiner Fantasie deckte sie sich nicht zu. Sie trug nur ein Pyjama-Oberteil. Er sah sich über ihr stehen und vorsichtig die Knöpfe offnen, während sie schlief. Er öffnete das Kleidungsstück. Ihre Haut glänzte wie Elfenbein im schwachen Licht durch das Fenster. Er griff hinunter, um sie zu berühren, und plötzlich war sie halbverwest, sie war Helen und sie war tot und sie grinste ihn an. Er fuhr auf und stieß sich den Kopf an den Bettfedern. Er ließ den Kopf zu Boden sinken. Und hielt lauschend die Luft an. Er erwartete fast, dass Helen aui der Matratze über ihm grunzen und sich herumwälzen würde, durch den Stoß aufgeweckt.
Was für ein Blödsinn. Sie ist mausetot.
Aber ich liege direkt unter ihr.
Er lauschte und hörte nichts. Aber Helens Augen waren offen. Er sah sie vor sich, offen. Sie wusste, dass er unter dem Bett war.
Roland musste Stunden in dem engen Raum nur Zentimeter unter ihrer Leiche zugebracht haben. Er fand es unfair, dass er jetzt solche Schreckensvorstellungen bekam, wo sein Warten fast beendet war.
Er hörte immer noch nichts.
Aber Helen
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