Parasiten
zu, drehte sich um und durchquerte
die Flughafenhalle Richtung Ausgang.
Alina sah ihm lange hinterher. Vadim reichte ihr den Arm und ging
mit ihr langsam zum Gate. Alina war immer noch sehr schwach. Das Methadon half
ihr zwar über die schlimmsten Entzugserscheinungen hinweg, aber Vadim wusste,
dass sie trotzdem Qualen litt. Der Gedanke, nach Hause zu kommen, schien jedoch
ihre Schmerzen und ihre Entkräftung zu besiegen. Nur deshalb hatte sich Vadim
zu seinem Entschluss durchringen können.
Sie mussten noch eine Dreiviertelstunde überbrücken. Alina schloss
die Augen und lehnte ihren Kopf an Vadims Schulter. Ihr bedingungsloses
Vertrauen zu ihm, dem kriminellen Cousin, dem schwarzen Schaf der Familie,
rührte ihn zutiefst. Er würde sich dieses Vertrauens würdig erweisen müssen.
Er wartete, bis das Bodenpersonal zum Boarden aufforderte. Sanft
rückte er von ihr ab. »Alina, ich muss mit dir reden.«
Sie hob den Kopf und lächelte ihn an. Vadim fragte sich, wie sie
nach allem, was sie erlebt hatte, noch so lächeln konnte. War es die Jugend,
die sie unverwundbar machte? Oder die Freude über die Heimreise?
Als er sprechen wollte, legte sie ihm ihren Zeigefinger auf die
Lippen. »Du musst nichts sagen. Mach dir keine Sorgen. In Frankfurt steige ich
um, und in Chişinău holen mich Mama und
Papa ab. Mir geht es gut, ich kann alleine fliegen.«
»Woher weißt du … ?«
»Ich kenne dich. Du wirst diesen Bender töten und Danylo helfen,
Sofia zu finden.«
Vadim schwieg.
Alina stand auf, nahm ihre Tasche, gab ihm einen Kuss auf den Mund
und ging durch das Drehkreuz. Kurz bevor sie im Gang zum Flugzeug verschwand,
drehte sie sich noch einmal um und rief: »Weißt du eigentlich, dass ich dich
liebe, Vadim?« Dann verschwand sie.
Vadim stand da wie vom Donner gerührt. Damit hatte er nicht
gerechnet. Er hatte es nicht einmal zu hoffen gewagt.
Christian nahm mit Anna ein üppiges Frühstück zu sich und
genoss die Stille. Nur das Klappern von Tassen und Besteck war zu hören und das
Knistern von Papier. Anna las Zeitung, Christian blätterte durch sein
Aktenpaket. Am gestrigen Abend war er nicht mehr dazugekommen. Anna hatte ihn
mit einer DVD über Nova Scotia und Neufundland überrascht, die sie mit ihm
ansehen wollte. Sie hoffte, ihn damit überzeugen zu können, den nächsten Urlaub
dort zu verbringen. Christian graute schon jetzt vor dem endlos langen Flug.
Aber er wusste nicht, wie er Annas Bitte abschlagen konnte. Zumal ihn der Film
über die raue Landschaft im Nordosten Kanadas sehr beeindruckt hatte. Danach
hatten sie zusammen gebadet und sich geliebt.
Zu Christians Überraschung befanden sich in seinem Aktenpaket nicht
nur Unterlagen zu den beiden aktuellen Morden, sondern auch die Informationen,
die Daniel über Heiko Bender zusammengestellt hatte. Christian wollte das
Material zuerst beiseitelegen, da er wahrlich aktuellere Probleme hatte, doch
aus einer Laune heraus blickte er hinein. Auf den ersten Blick wirkten die
Fakten gewöhnlich. Nichts wies auf einen Hang zu sexueller Gewalt hin oder gar
auf Kontakte zu kriminellen Kreisen. Dennoch musste es eine Verbindung geben.
Alina hatte gesagt, dass sie vom Baltenboss gekauft und an Bender verschenkt
worden war. Puri lag inzwischen in der Rechtsmedizin, in einer Stahlschublade
direkt neben dem Staatsrat Benedikt, der auf Puris Einladung an exklusiven
Sexpartys teilgenommen hatte. Christian kam auf die Idee, nach einer Verbindung
zwischen Bender und Benedikt zu suchen. Ein Staatsrat aus Hamburg und ein
Ingenieur aus Schleswig-Holstein schienen zwar auf den ersten Blick nicht viel
gemein zu haben. Aber beide hatten mutmaßlich Kontakt zu Andres Puri gehabt und
waren Nutznießer seiner Zuhälterei gewesen. Dass bei beiden bislang kein
Kontakt zu Puri eindeutig nachgewiesen werden konnte, überraschte Christian
kaum. Beziehungen zur Unterwelt werden von Armani-Anzugträgern mit
Platin-Kreditkarten grundsätzlich verschwiegen und vernebelt.
Plötzlich beschlich Christian das vage Gefühl, Alinas gewaltsamer
Aufenthalt bei Bender und die beiden neuen Mordfälle könnten miteinander zu tun
haben. Dieser Gedanke, so unwahrscheinlich er auch war, ließ ihn nicht mehr
los. Es dauerte lange, bis er tatsächlich etwas fand. Anna hatte schon längst
den Tisch abgeräumt und sich mit einem Buch ins Wohnzimmer zurückgezogen.
»Anna, weißt du, was ›NMA‹ ist?«, rief er ins angrenzende
Wohnzimmer. Anna kam zu ihm. »Das ist das Kürzel für die
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