Parasiten
wurden nicht
genannt. Man kannte sich, und wenn nicht, umso besser.
Christian hielt sich zurück. Zu den Gesprächen über die Entwicklung
des Goldpreises und die variierte Neuauflage des legendären Riva-Bootes hatte
er nichts beizutragen. Er sah sich um. Alles hier atmete Reichtum und
Exklusivität. Das Mobiliar bestand aus modernen Klassikern, die in friedlicher
Koexistenz mit der Hamburger Retroarchitektur des Hauses existierten, wenn
nicht gar harmonierten. Christian war kein Spezialist, teilte aber mit Anna die
Vorliebe für Bauhaus-Möbel. Letzte Weihnachten hatte sie ihm einen gebrauchten
Eames-Lounge-Chair geschenkt. Der war zwar schon reichlich abgewetzt, aber er
liebte dieses Teil. Mehr als die Ausstattung der Villa interessierten ihn
jedoch die Gäste. Nur einer kam ihm bekannt vor. Vermutlich hatte er das
Gesicht in einer Zeitung gesehen, aber es wollte ihm beim besten Willen nicht
einfallen, in welchem Zusammenhang. Er nahm Wieckenberg beiseite und fragte ihn
leise nach den Anwesenden.
»Die zwei dahinten kenne ich nicht«, begann Wieckenberg flüsternd.
»Die beiden an der Barkonsole sind Konrad Lang, Sie wissen, welche Bank, und
der neben ihm, der uns hereingelassen hat, ist Manfred Kreutzer,
Vorstandsvorsitzender der ›Stahl Nord AG‹.«
»Wer ist der kleine Typ, der dort so unbeteiligt im Sessel sitzt?«
»Dominik Röhl. Er wird nicht gerne gesehen. Erstens, weil er ein
Emporkömmling finsterster Sorte und zweitens, weil er stockschwul ist.«
Christian sah Wieckenberg fragend an.
»Man hat mich schon zu Anfang informiert, dass es auch Partys gibt,
in denen neben willigen Damen auch junge Männer zur Verfügung stehen. Röhl
kommt jedoch auch zu den rein heterosexuellen Veranstaltungen. Er schleimt sich
ran, macht Kontakte …«
»Warum wird er eingeladen, wenn ihn alle nicht ausstehen können?«
»Reich. Sehr reich. Ich schätze, vierzig Prozent der Autohäuser in
Norddeutschland gehören ihm. Und seinen Freunden gegenüber zeigt er sich sehr
großzügig, wenn es um das Besorgen von Luxuslimousinen zu sagenhaft günstigen
Preisen geht.«
»Ihr schicker Jaguar?« Christian grinste.
Wieckenberg grinste zurück. »So dämlich bin ich nicht. Nein, mein
Lieber, meine Weste ist sauber.«
»Und die Typen links von uns?«
Wieckenberg wollte gerade antworten, als Kreutzer um Aufmerksamkeit
bat: »Meine Herren, wie immer haben wir uns etwas Spezielles einfallen lassen,
um stilvoll in einen hoffentlich unterhaltsamen Abend für uns alle
hineinzugleiten. Wenn Sie sich bitte nach nebenan begeben wollen, dort findet
ein Hauskonzert statt mit einer herausragenden Künstlerin, die ein besonderes
Vergnügen nicht nur für die Ohren bietet.«
Im Raum nebenan waren ausreichend Polsterstühle in einem Halbkreis
um einen einzelnen Stuhl aufgestellt worden. Auf dem Stuhl in der Mitte saß die
Künstlerin mit ihrem Cello. Christian erkannte sie sofort. Es war Norma Lucia,
deren Konzert er in Bad Bramstedt mit Anna besucht hatte. Hier trug Norma Lucia
kein schwarzes, schulterfreies Abendkleid. Sie war nackt. Nur das Cello
zwischen ihren Beinen verdeckte den Blick auf die Scham.
Die Männer setzten sich, klatschten genüsslich Beifall. Norma Lucia
reagierte nicht. Sie schloss die Augen und begann zu spielen. Wenn Christian
sich nicht irrte, spielte sie wieder Schostakowitsch. Aber auch diesmal hörte
er nicht zu. Seine Gedanken überschlugen sich. Das Konzert in Bad Bramstedt
hatte im Rahmen der NMA stattgefunden. Bender und Benedikt waren mit der NMA
verquickt. Und beide mit Puri. Puri und seine Leute veranstalteten diese
Partys. Und nun tauchte eine Musikerin hier auf, die mit der NMA zu tun hatte.
Diese Verbindungen konnten kein Zufall mehr sein, dafür waren sie zu zahlreich
und zu brisant.
Norma Lucia spielte nur ein Stück. Sie wusste sehr wohl, dass ihre
Zuschauer nicht wegen des musikalischen Genusses hier saßen und applaudierten.
Entsprechend ignorant reagierte sie wiederum auf den Beifall. Sie stand auf,
und entgegen Christians Vermutung hielt sie das Cello nicht verschämt vor ihren
nackten Körper, sondern nahm es zur Seite, zeigte sich und blickte dabei
verächtlich auf ihr Publikum herab. Christian war beeindruckt von dieser Geste
des Stolzes. Als Norma Lucia in den Nebenraum abging, kamen die
Gesellschafterinnen mit Tabletts voller Champagnergläser herein. Sie hatten
ihre Dienstmädchenkluft abgelegt und waren nun allesamt nackt bis auf ihre
hochhackigen schwarzen Pumps. Ein paar der
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