Parasiten
Material fragen. Sie
würden ihn unter Druck setzen, aber er durfte nicht schwach werden. Ohne das
Material war er ein toter Mann.
Walter hatte recht. Er musste nicht allzu lange warten, bis sie
kamen. Ein Mann und die Frau. Der Mann war äußerst durchtrainiert. Er trug
Jeans und ein Langarm-Shirt, das so eng saß, dass sich jeder einzelne Muskel
darunter abzeichnete. Der Hals des Mannes war ungefähr so dick wie Walters
Oberschenkel. Walter wurde mulmig zumute. Er wandte sich der Frau zu. Sie sah
noch sehr jung aus, war klein, zierlich und auffallend hübsch. Ihre langen,
braunen Haare trug sie zu einem Zopf geflochten. Perfekt geschminkt sah sie in
ihrem stilvollen Outfit aus schwarzer Hose, schwarzen Pumps und knallrotem
Rollkragenpullover wie ein Model aus. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Art
Köfferchen aus blauem Stoff. Sie wirkte wie eine AVON-Beraterin beim Hausbesuch.
»Guten Morgen, Herr Ramsauer«, begann sie mit warmer Stimme und
freundlichem Lächeln. »Verzeihen Sie bitte den rüden Schlag auf Ihren Schädel.
Ich hätte Sie gerne pfleglicher behandelt, doch Sie mussten ja diesen
unangenehmen Lärm veranstalten. Wir wollten doch nicht Ihre Nachbarn wecken.«
Sie nickte dem Mann zu. Der nahm ein Klapptischchen, das an der Wand
lehnte, und stellte es direkt vor Walter auf. Dazu rückte er einen Stuhl heran.
Die Frau nahm Walter gegenüber Platz und legte ihr Köfferchen neben den Tisch.
»Sie können sich vermutlich denken, warum Sie hier sind«, sagte sie.
»Ich würde es gerne von Ihnen hören«, entgegnete Walter. Er gab sich
souverän, wollte ihr zeigen, dass er sich nicht so leicht einschüchtern ließ.
»Aber sehr gerne doch. Sie sind im Besitz gewisser verleumderischer
Unterlagen, die mein Kunde gerne ausgehändigt hätte. Originale mitsamt aller
möglicherweise existierenden Kopien.«
»Wenn Sie das Material in Händen halten, bin ich tot. Für wie blöd
halten Sie mich?«
»Sie missverstehen da etwas, Herr Ramsauer. Wenn wir das Material nicht binnen weniger Stunden in Händen halten, sind Sie
tot.«
Walter bemühte sich um ein souveränes Grinsen. Es misslang
gründlich. »Nur zu Ihrer Information: Ich muss mich regelmäßig um gewisse
Vorkehrungen kümmern, sonst gelangt das Material in die Hände der Polizei. Das
weiß Ihr Kunde.«
»Was schlagen Sie vor?« Die Frau sprach immer noch sanft und
freundlich.
»Dass Sie meine Fesseln lösen und mir meine Kleidung zurückgeben. Es
ist verdammt kalt.«
»Und dann geben Sie uns das Material im Tausch?« Im Gegensatz zu
Walter gelang der Frau das souveräne Lächeln außerordentlich gut.
»Wohl kaum. Aber ich schlage Ihnen ein Geschäft vor: Ihr Auftraggeber
hat zwei, oder sagen wir drei Tage, bevor ich meine Story veröffentliche. Die
kann er nutzen, um sich zu stellen oder außer Landes zu flüchten. Mir geht es
um die Story, ich bin kein Richter.«
»Inakzeptabel.«
Walter zuckte bemüht gleichmütig mit den Schultern: »Machen Sie
einen Gegenvorschlag.«
»Nur zu gerne.« Die Frau nahm ihr Köfferchen, stellte es auf den
Tisch und öffnete den Deckel, der Walter die Sicht auf den Inhalt versperrte.
»Verzeihen Sie, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Nina.
In meinem Erstberuf bin ich Kosmetikerin. Mein Schwerpunkt liegt auf Maniküre.«
Sie nahm einige Utensilien aus dem Koffer, schloss ihn wieder und
stellte ihn auf den Boden. Walter sah nun, was auf dem Tisch lag: Nagelfeilen
und -scheren und sonstiges kosmetisch anmutendes Zeugs, das er nicht richtig
einordnen konnte.
Nina nickte ihrem Assistenten zu. Der löste die Fesseln von Walters
rechter Hand, nahm die Hand und legte sie trotz Walters ahnungsvoller und
heftiger Gegenwehr platt auf den Tisch. Dann zurrte er die Hand an einem der
Tischbeine fest.
»Was soll das?«, keuchte Walter.
»Ich mache Ihnen jetzt meinen Gegenvorschlag.« Nina lächelte wie ein
Engel. Sie nahm eine der Nagelscheren und bohrte die Spitze tief in das
Nagelbett von Walters Daumen. Walter schrie auf. Blut quoll hervor. Der Mann nahm
einen alten Öllappen aus einem in der Ecke stehenden Eimer und stopfte ihn
Walter in den Mund.
Nina bohrte die Scherenspitze ins Nagelbett von Walters Zeigefinger.
Der zweite Schrei wurde von dem Öllappen erstickt. Walter wollte
nach Luft schnappen, doch er bekam nur wenig durch die Nase. Tränen schossen
ihm in die Augen. Der Gestank und Geschmack des Lappens verursachten ihm
Übelkeit. Auf Ninas Zeichen hin zog ihm der Mann den Lappen aus dem
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