Parasiten
durch das er den Wagen rücksichtslos lenkte.
»Du musst es mir beibringen«, sagte Danylo.
22. April 2010
Hamburg.
Walter Ramsauer blinzelte verschlafen auf seinen Wecker.
Es war kurz nach fünf Uhr, die Morgendämmerung sickerte schon durch die
geschlossenen Vorhänge. Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte, er war immer
noch sehr müde. Benommen drehte er sich zur anderen Seite, um weiterzuschlafen.
Da tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Sein Herz blieb beinahe
stehen, dann begann es zu rasen. Walter beschloss, sich die hauchfeine
Berührung eingebildet zu haben. Im Halbschlaf, wenn man gerade dabei war, in
die Schwärze hinabzusinken, konnte so etwas schon mal passieren. Doch insgeheim
wusste er, dass er sich irrte. Jemand war in seinem Schlafzimmer. Er wagte
weder zu atmen noch die Augen zu öffnen und sich umzudrehen. Das konnte nicht
sein, er musste träumen!
»Herr Ramsauer, bitte wachen Sie auf«, sagte ein warme, freundliche
Frauenstimme. Wieder dieses sanfte Tippen auf seiner Schulter.
Walter öffnete die Augen und drehte sich um. Schemenhaft sah er drei
Gestalten um sein Bett herumstehen. Zwei große und eine kleine.
»Was, zur Hölle …«, begann er wie ein Wahnsinniger zu schreien.
Weiter kam er nicht. Der Lärm, den er im Begriff war zu veranstalten, wurde mit
einem harten Schlag auf seinen Kopf unterbunden. Walter verlor das Bewusstsein.
Als er wieder erwachte, befand er sich in einem kalten Raum, der
sich bei genauerer Betrachtung als eine schmutzige, unaufgeräumte Garage
herausstellte. Links von ihm befand sich eine altmodische Werkbank, an den
Wänden waren Regale voller Werkzeug und Schraubenkästchen befestigt. Er saß in
der Mitte der Garage auf einem unbequemen Metallstuhl, die Hände nach hinten
gefesselt, die Füße an die Stuhlbeine gebunden. Er war bis auf die Unterhose
ausgezogen. Ihn fror. Er schüttelte heftig den Kopf, um seine Benommenheit loszuwerden.
Sein Kopf dröhnte bei der Bewegung. Die kalte Luft ließ ihn jedoch von Minute
zu Minute klarer werden.
Sie hatten ihn gefunden. Er musste irgendeinen Fehler gemacht haben.
Aber welchen? Walter beschloss, nicht länger darüber nachzudenken. Wichtiger
war, wie er aus dieser Situation herauskam. Er war allein in der Garage. Das
Werkzeug an den Wänden eignete sich hervorragend, seine Fesseln zu lösen. Doch
sein Stuhl stand in der Mitte des Raumes, weit entfernt von allen Hilfsmitteln.
In einem Film hatte er einmal gesehen, wie jemand den Stuhl, an den er
gefesselt war, mit Gewalt an einer Wand zertrümmerte und sich so befreite. Aber
dem Kinohelden waren die Füße nicht gebunden gewesen, so dass er zwar kleine,
aber entscheidende Schritte machen konnte.
Walter war kein Held. Er dachte an Henning Petersen, der inzwischen
in seinem Grab vermoderte. In diesem Moment verfluchte er ihn, denn der hatte
ihn in diese Geschichte hineingezogen. Er verfluchte auch sich selbst und
seinen verdammten journalistischen Ehrgeiz, der ihn hier halbnackt, gefesselt
und in Todesangst in einer beschissenen Garage sitzen ließ, statt mit seiner
Frau in Österreich im warmen Bett zu liegen und mit dem Baby zu spielen.
Sie würden ihn töten. Genauso wie sie Henning getötet hatten. Und
nun, da ihm die Situation so real vor Augen stand, begriff Walter plötzlich,
dass er auf eine posthume Namensnennung im Spiegel schiss. Andererseits …
Vielleicht würden sie ihn gar nicht töten. Henning hatten sie in seiner Wohnung
ermordet. Bei ihm hatten sie sich immerhin die Mühe gegeben, ihn zu
verschleppen. Walter beruhigte sich ein wenig. Er dachte an die Angst in den
Augen seines Gesprächspartners, als er ihm sagte, dass im Falle seines
unerwarteten Todes das Material an die Polizei ginge. Dieser Schachzug war
seine Lebensversicherung. Vermutlich hatte Henning keinen solchen Trumpf in der
Hand gehabt. Bei aller Sympathie: Er war ein unerfahrener Grünschnabel gewesen,
der sich zu viel vorgenommen hatte. Er selbst jedoch, Walter Ramsauer, er war
ein alter Fuchs. Er würde das überleben! Falls er nicht vorher erfror. Sein
nackter Körper schlotterte vor Kälte. Außerdem musste er pinkeln.
Walter versuchte, sich auf eine Strategie zu konzentrieren. Er
brauchte dringend eine Strategie. Das Nachdenken würde ihn auch vom Frieren und
dem Druck auf der Blase ablenken. Er musste nachdenken. Aber sein Kopf tat
entsetzlich weh. Außerdem war er schrecklich müde. Aber die Strategie war
wichtig. Sicher würden sie bald kommen und ihn nach dem
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