Parasiten
meine
Hautschüppchen fressen und meine Muskeln und Sehnen und mein Blut und meine
Leber und Nieren und von mir aus auch das Herz. Dann hab ich mich erinnert: Ich
war ja mal ein ganz normaler Mensch, ohne Parasiten und ohne Befund. Ich habe
Hoffnungen und Träume gehabt! Würde ich mir das alles von den Milben und
Würmern und Käfern kaputt machen lassen? Ich konnte mich doch wehren!
Mein erster Gedanke war, dass ich beweisen
muss, was mit mir passiert, das ist das Wichtigste. Also habe ich mich darauf
konzentriert, meinen Körper noch intensiver zu beobachten. Ich bedauere immer
noch, keinen Fotoapparat zu haben, denn ich könnte fantastische Makroaufnahmen
von den Parasiten und ihren verschlungenen Wegen unter meiner Haut machen. Aber
da ich das nicht dokumentieren kann, muss ich die Biester fangen, damit mir
jemand glaubt. Und mir nicht sagt, dass ich verrückt bin.
Mit meinen Fingernägeln bin ich viel zu
langsam. Kaum habe ich meine Haut an einer befallenen Stelle aufgekratzt, sind
die Viecher schon einen halben Meter weiter durch meinen Körper geglitscht –
etwa von der Wade in den Oberschenkel oder vom Bauch in den Hals.
Mit einer Rasierklinge bin ich schneller.
Ich kann ihre Bahn inzwischen blitzartig verfolgen, ja sogar vorausahnen. Den
einen oder anderen Wurm habe ich mir so erfolgreich aus dem Körper gezogen. Das
hat mich zwar eine Menge Blut gekostet, aber Blut wächst ja nach.
Das Problem ist, dass ich immer nur einzelne
Viecher erwische und die Blutverluste dabei immer größer werden. Das schwächt
meinen Körper. Und ich hab festgestellt, dass meine Hand zu zittern anfängt
beim Jagdschlitzen. Das ist nicht gut. Ich brauche eine ruhige und sichere
Hand.
27. Juli 2010
Haßmoor.
Weil oben das Telefon klingelte, hatte er vergessen, den
Schlüssel außen abzuziehen! Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Seit Wochen schon
versteckte sie ein Stück Draht in ihrer Kammer, und erst vorgestern hatte sie
beim Putzen ein Zwei-Cent-Stück gefunden, das perfekt in den Schraubenschlitz
der Verkleidung der Heizungsanlage passte. Mehrfach hatte sie die Schraube
heraus- und wieder hineingedreht. Sie war lang genug, um den Schlüssel aus dem
Schlüsselloch herauszudrücken. Falls sie den Schlüssel in die richtige Position
bekam. Jetzt musste sie nur noch warten, bis er eingeschlafen war. Es war kurz
vor Mitternacht, sicher würde er bald ins Bett gehen. Sie bemühte sich, ihre
Anspannung zu unterdrücken und ruhig durchzuatmen. Geduld war jetzt das Schwierigste,
aber sie wollte sich nicht durch irgendein Geräusch verraten. Vermutlich hörte
er sie oben gar nicht. Dennoch durfte sie keinen Fehler machen und nichts
übereilen. Vielleicht würde es Monate dauern, bis sie eine zweite Chance bekam.
Sie sah auf die Leuchtziffern ihrer Uhr und zwang sich, eine Stunde still
verstreichen zu lassen.
Sie lauschte. Kein Geräusch war von oben zu hören. Sie erhob sich
von ihrem Feldbett, tastete sich die zwei Meter zur Heizungsanlage und drehte
leise die schon gelockerte Schraube aus der Metallverkleidung. Es war stockdunkel,
die Deckenlampe in ihrem Raum wurde von außen betätigt. Dann nahm sie die
Schraube und kniete sich vor die Tür. Sie war so nervös, dass ihre Hände zitterten.
Langsam führte sie die Schraube in das Schlüsselloch. Schon nach wenigen Millimetern
stieß sie auf Widerstand. Der Schlüssel. Sie versuchte zu drücken und zu
schubsen, doch der Schlüssel bewegte sich nicht. Fast hätte sie zu weinen
begonnen vor Enttäuschung, doch sie riss sich zusammen. Sie konnte nicht
erwarten, dass es leicht werden würde. Nichts war leicht gewesen in den letzten
Monaten. Sie nahm die Schraube wieder heraus, zog den Draht aus seinem Versteck
unter der Heizungsanlage und verstärkte die Spitze durch eine kleine Biegung.
Sie führte den Draht in das Schlüsselloch und versuchte, seitlich vom Schlüssel
zu landen, um ihn in eine aufrechte Position zu bringen. Es dauerte über eine
halbe Stunde, bis es ihr gelang. Sie schwitzte. Vor Aufregung war ihr übel.
Plötzlich spürte sie, dass der Schlüssel sich lockerte und bewegen ließ. Sie drehte
ihn. Angespannt versuchte sie es erneut mit der Schraube. Es funktionierte.
Millimeter für Millimeter schob sie den Schlüssel nach außen aus dem
Schlüsselloch. Als er herunter auf die Fliesen fiel, schepperte es so laut, als
würde die Stille explodieren. Sie hielt den Atem an und lauschte wieder.
Nichts. Dann legte sie sich flach auf den Boden, bog die Spitze des
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