Paris ist eine Messe wert
mager, daß ihm die Rippen unterm Fell hervorstachen. Erstaunt über seinen Anblick, hielt ich inne, und zum erstenmal wurde mir klar, daß ich schon lange weder Hunde noch Katzen gesehen hatte, obwohl es in Paris für gewöhnlich doch so viele gab (die Pariser waren derart vernarrt in die Tiere, daß sogar die Ärmsten der Armen ihre Suppe mit ihnen teilten). Da hörte ich hinter mir eilige Schritte auf dem Pflaster, und als mich umdrehte, erblickte ich eine Meute von Frauen und Männern, die einen mit Messern bewaffnet, andere mit Stricken, wieder andere sogar mit Bratspießen. Mit zugleich mattem und wildem Gejohle hasteten sie vorwärts – was nicht viel hieß, so entkräftet waren sie, und nicht nur bleich von Ansehen, sondern wahrhaft grünlich, allein die Augäpfel glommen in den ausgemergelten Gesichtern mit unmenschlichem Glanz.
In der Furcht, es könnten Ligisten sein, die mich entdeckt hätten und mir ans Leben wollten, sprang ich in einen Torweg und griff nach dem Dolch, den ich im Rücken unterm Cape stecken hatte. Doch die Meute hastete an mir vorüber, ohne mich überhaupt zu bemerken, diese Jäger gelüstete es nach anderem Wild, wie ich bald sah. Ich wandte mich an einen kleinen, |218| engbrüstigen Mann, der unter den letzten humpelte und in schlaffer Hand eine Tischlersäge hielt.
»Gevatter«, fragte ich, »wen verfolgt ihr?«
»Habt Ihr das nicht gesehen, Herr?« fragte er matt. »Einen Hund.«
»Einen Hund?« fragte ich. »Einen rotbraunen Hund?«
»Ja!«
»Was hat er verbrochen? Hat er jemanden gebissen?«
Worauf der Mann mich von der Seite ansah, als wäre ich nicht bei Troste, und düster auflachte.
»Ha, eher beißen wir ihn«, sagte er.
Worauf er mir, bedacht, seinen Atem zu sparen, um bei der Jagd mitzuhalten, mit einer Geste bedeutete, daß er nicht mehr sagen werde. Ohne jede Anstrengung überholte ich ihn und erreichte die vorderste Reihe der Hastenden, die jenes sonderbare, zugleich schwache und wilde Gejohl ausstießen, das mich schon anfangs verwundert hatte, und die plötzlich lauter schrien und knurrten, als der rotbraune Hund in seiner Angst in eine Sackgasse einbog, deren Ende ein zwei Klafter hoher Holzzaun abschloß. Die Meute verlangsamte den Schritt, sowohl weil alle nach Atem japsten, als auch, weil ihnen die Beute nicht mehr entwischen konnte. Und wirklich, so oft der Hund den Zaun auch zu überspringen versuchte, gelang es ihm doch nicht, dazu war er zu schwach, und er sprang bei jedem Versuch niedriger. Endlich setzte er sich auf die Hinterpfoten und wandte uns hechelnd den Kopf zu, doch ohne etwa die Zähne zu fletschen, vielmehr blickte er aus sanften braunen Augen wie flehend auf seine Verfolger und fiepte leise, daß es einem ans Herz griff. Als er jedoch sah, daß der Kreis um ihn sich immer enger schloß, erhob sich der Hund in letzter, verzweifelter Anstrengung, wie um abermals zu springen, doch bevor er dazu auch nur ansetzen konnte, wurde er niedergeworfen, erwürgt und noch zuckend in Stücke gerissen. Ich wich vor der wimmelnden Menge beiseite, verharrte aber wie festgenagelt vor Grauen angesichts dieser am Boden kreuchenden Menschenwesen, die sich mit unfaßlicher Wildheit um Stücke und bald nur noch um Fetzen des Tieres balgten, einige griffen sich sogar, wie ich mit Ekel bis an die Lippen sah, die Eingeweide und verschlangen sie blutverschmierten Gesichts.
Schließlich riß ich mich von dieser Szene los, die alles übertraf, |219| was ich je an Scheußlichkeiten auf dem Schlachtfeld sah, verließ eilends die Sackgasse und klopfte in der Rue Trouvevache an der Haustür von Monsieur de L’Etoile. Die Kammerfrau, die mir öffnete und die nicht eben Hunger zu leiden schien, so hübsch rund und drall war sie, sagte, ihr Herr sei vor kurzem ausgegangen, weil er von jemandem gehört habe, am Grand Palais gebe es einen Volksaufruhr.
»Was mich angeht«, setzte die Kleine hinzu, indem sie mich schmeichelnd ansah, »so bin ich allein im Haus und wäre sehr froh, Monsieur, wenn Ihr mir Gesellschaft leisten wolltet, bis mein Herr zurückkommt, denn ich fürchte immer, daß man uns die Haustür einschlägt, hier in der Straße heißt es nämlich, wir seien zu wohlgenährt, um von der Liga zu sein.«
»Wieso allein?« fragte ich. »Und die Familie von Monsieur de L’Etoile? Und sein Gesinde?«
»Alle abgereist, gestern. Der Herr hat für sie einen Paß von Monsieur de Nemours erhalten, und damit sie durch die königlichen Linien kommen, hat er Hauptmann
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