Paris ist eine Messe wert
unter einer verschließbaren Klappe im Fußboden meines Zimmers verwahrte.
Besagter Händler verkaufte das Getreide aber nicht auf dem Markt, sondern ganz unter der Hand in einer Hinterstube. Was mir zu denken gab, daß er im Einverständnis mit einem Offizier von den Königlichen stehen müsse, der ihn im Schutz der Nacht, über die Mauer hinweg, belieferte. Und weil Miroul mir sagte, daß er bei ihm nie jemanden gesehen habe, der im Sprengel der Filles-Dieu als Ligist galt, schloß ich, daß er mich als Kunden zuließ, weil er mich nicht dafür hielt, sicherlich mußte der Gevatter immer fürchten, von Eiferern entdeckt und gehängt zu werden. Und sosehr ich auch beklagte, daß der schlaue Fuchs mit dem Bauch seiner Brüder ein Vermögen machte, kitzelte mich doch der Gedanke, daß die Schießwütigen |211| der Stadt keinen Weizen mehr zu kaufen bekamen, nicht einmal zum Preis von Gold.
Täglich ließ ich Poussevent zwei Pfund Weizen in einer kleinen Handmühle mahlen, die wir auf dem Hausboden gefunden hatten, und nachdem er den Teig kunstgerecht geknetet hatte, wurde er über Nacht, bei fest geschlossenen Türen und Fenstern gebacken, damit der Duft unseren Nachbarn nicht in die Nasen steige. Wenn es tagte, brachte Poussevent feierlich das frisch gebackene Brot auf den Küchentisch, und während wir alle vier stumm verharrten, teilte Miroul es in wunderbar gleiche vier Teile. Wunderbar sage ich, denn als Pissebœuf, der ein bißchen zum Meckern neigte, einmal bemängelt hatte, daß die Teile ungleich seien, maß ich sie mit dem Lineal, und er verstummte beschämt. Seit jenem Tag war Miroul unser Brotmeister und Mittelpunkt des allseitigen Respekts, wenn er das Messer schwang und das Brot, nachdem er es einen Moment mit seinen zwiefarbenen Augen angepeilt hatte, ohne zuvor Linien zu ritzen, plötzlich rasch, elegant und so genau zerschnitt, daß wir nur staunen konnten und, offen gestanden, den Mund schon voll Speichel hatten, so knurrte uns der Magen.
Ich hatte die tägliche Brotzeremonie eingeführt, weil mein Vater mir eingeprägt hatte, daß ein Hauptmann im Fall von Mangel oder Hungersnot, wie das in Kriegszeiten häufig der Fall ist, auf Standesvorrechte verzichten und das vorhandene Brot rigoros mit seinen Soldaten teilen muß, will er nicht seine Autorität einbüßen und die vom Hunger erregten Männer auch nur im Geist zur Meuterei gegen sich treiben. Doch hätte ich auch ohne diese Lehre so gehandelt, weil es meiner Natur entspricht, diejenigen zu lieben, die mir dienen, und sie in meinem Dienst glücklich zu sehen. Wie der Leser weiß, hatte ich in König Heinrich III. einen vorzüglichen Lehrmeister von einer Güte und so grenzenlosen Freigebigkeit gehabt, daß ich meinen Dienern ein Herr gleicher Art zu sein trachtete und wünschte, daß sie mir ebenso aus guten Gefühlen wie aus Pflichteifer gehorchten.
Am 20. Juni, dem dreiundvierzigsten Tag der Belagerung, verringerte ich unsere Rationen ein wenig, zumindest an Brot, denn daß uns das Fleisch ausgehen würde, stand nicht zu fürchten, und meine Leute nahmen die Verminderung ohne Murren hin, auch wenn sie – wie Miroul mir sagte – meine |212| Vorsicht übertrieben und meine Furcht vor Mangel unsinnig fanden, unsere Vorräte waren, was sie waren. An besagtem Morgen nun, als wir just die Hand nach den Stücken ausstreckten, die Miroul geschnitten hatte, klopfte es an der Haustür, und Miroul, der nachsehen ging, meldete mir, eine reinlich gekleidete Person, die sich Héloïse nenne und eine Arbeiterin von Alizon sei, verlange Einlaß. So erschien bei uns denn ein hübsches großes Mädchen, wenn auch sehr blaß und mager.
»Erlaubt, Herr«, sagte Héloïse in ihrem hurtigen Pariserisch, »daß ich mich setze. Ich habe drei Tage nichts gegessen und konnte mich kaum auf den Beinen halten, um hierher zu kommen.«
»Setz dich, Kind, setze dich«, sagte ich. »Aber, wieso hungerst du so, Alizon gibt dir doch ein Mittagessen?«
»Ach!« sagte sie, »die Meisterin hat uns alle entlassen. Wißt Ihr das nicht? Vor zwei Wochen hat sie die Werkstatt geschlossen, weil die Kunden ausbleiben und sie selbst nicht mehr viel in den Mund zu stecken hat.«
Mir verschlug es die Stimme, und schwere Gewissensbisse plagten mich, weil ich Alizon nur alle vierzehn Tage besuchte, obwohl ich ihr soviel zu verdanken hatte. Doch während ich so stumm verharrte, bemerkte ich, daß auch das Mädchen stumm war und wie gebannt auf die vier Brotstücke auf dem Tisch
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