Paris ist eine Messe wert
starrte, fast quollen ihr bei diesem Anblick die Augen aus den Höhlen.
»Ach, Herr«, sagte sie mit schwacher Stimme und geweiteten Nüstern, »Ihr habt noch Brot! Sogar Weizenbrot!«
Hierbei machte sie eine Bewegung, als wollte sie darüber herfallen, doch war es Schwäche, war es wiedergekehrte Scham, sie sank auf ihren Schemel zurück, bleich, unfähig zu reden und zitternd, ohne indes die Augen von dem schönen und duftenden goldenen Brot zu lassen, das Miroul aufgeschnitten hatte.
»Mädchen«, sagte ich, »du siehst hier vier Stücke, meine Leute und ich sind vier, ich kann also nur über meins verfügen und dir eine Scheibe abgeben.«
»Moussu«, sagte Pissebœuf auf okzitanisch, »das ist Torheit! Welchen Grund habt Ihr, Euren halben Teil dieser
drola
zu geben und nicht auch einer von den Tausenden Weibern, die jetzt in Paris am Hungertuch nagen? Was nützt ihr die eine Scheibe heute, wenn sie morgen nichts hat?«
|213| »Ruhe, Pissebœuf«, sagte Miroul, aber in mildem Ton, der mir anzeigte, daß er im stillen nicht anders dachte als der Arkebusier.
Poussevent sagte keinen Ton, seine Miene jedoch, mit der er zusah, wie ich mein Stück teilte, verriet, daß auch er es mißbilligte.
Ich war gefaßt, daß die Kleine sich auf das Brot stürzen würde, das ich ihr reichte, doch sosehr ihr bei dessen bloßem Anblick der Speichel aus den Mundwinkeln sickerte, stopfte sie es doch nicht aufs Mal in den Mund, sondern rückte näher an den Tisch, ergriff das Messer und zerschnitt es sorgsam in kleine Würfel, die sie einen nach dem anderen zu den Lippen führte, einen jeden langsam kaute, und als sie fertig war, die Krumen in ihrer Hand sammelte und aufpickte wie ein Vogel: ein Schauspiel, dem wir in tiefem Schweigen beiwohnten und das uns empfinden ließ, was Héloïse gelitten hatte und was so viele andere Männer und Frauen im selben Augenblick litten.
»Herr«, sagte sie, ohne sich auch nur zu bedanken, so stark war ihr Gehirn mit dem Gedanken an Brot beschäftigt, »darf ich Euch unter vier Augen sprechen?«
Weil ich dachte, sie habe mir vielleicht eine Botschaft von Alizon auszurichten, faßte ich sie beim Arm (der meinen Fingern sehr dünn und mager erschien) und führte sie in mein Zimmer, wo sie auf einmal ganz verschämt wirkte und zwinkernd und tiefrot den Kopf senkte.
»Nun rede, Mädchen«, sagte ich, »was hast du auf dem Herzen?«
»Herr«, sagte sie endlich, indem sie aus sehr hellblauen Augen zu mir aufsah, »Alizon sprach oft von Euch, wenn wir beim Nähen saßen, und sie bedauerte, nichts von Euch zu hören und zu sehen, und sagte auch, daß es ein Jammer sei, wie Ihr mit Euren Leuten in diesem großen Haus lebt ohne eine Frau, die für Euch kocht und die Stuben sauber hält. Dabei lobte sie stets Eure Redlichkeit und Güte, und weil ich Waise bin und ohne Hilfe und Unterstützung dastehe und ohne Brot und Geld jeden Tag weniger werde, kam mir der Gedanke, Euch zu fragen, ob Ihr mich nicht als Kammerfrau wollt.«
Hierbei zitterte sie von Fuß bis Kopf und sah mich so flehentlich an, daß ich mich voller Mitleid abwandte.
»Mädchen«, sagte ich stockend, »es geht nicht. Wir haben |214| genug für vier, aber nicht für fünf, und wenn ich dich einstellte, hätten wir sehr viel geringere Aussicht, die Belagerung heil zu überstehen.«
»Aber, Herr«, sagte sie, »woher nehmt Ihr das Herz, noch zu essen, wenn die Menschen um Euch hungern?«
Dieses unerwartete Wort traf mich in die Brust wie ein Pfeil, mein hugenottisches Gewissen stieg mir ins Hirn mit einer Pein, wie sie mich seit Beginn der Belagerung immer wieder anwandelte, weil ich so gut gegen den Hunger gerüstet war, während die große Masse – von den Predigten in der Illusion schneller Hilfe gewiegt – nichts zurückgelegt hatte, als es noch Zeit war, oder aus Armut nichts hatte zurücklegen können. Sicherlich trug ich daran keine Schuld, auch nicht die »Politischen«, die ja Frieden wollten, sondern allein der wütende Eifer der Ligisten. Trotzdem war es eine Tatsache: Ich aß, und sie aßen nicht. Und mochte ich mir auch sagen: was kann ich dafür? Wenn ich meine Vorräte nur mit den Bewohnern meiner Straße teilte, hätten sie doch nicht genug, eine Woche zu überleben, und ich auch nicht. Trotzdem, selbst wenn ich mir das sagte, ist die menschliche Natur doch so beschaffen, daß ich es als eine Sünde empfand, gegenüber so vielen anderen im Vorteil zu sein.
Bewegt von solchen Gedanken, schritt ich hin und her durch
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