Paris ist eine Messe wert
Saint-Laurent bestochen, der ihm einen Passierschein beschaffte.«
»Sieh an!« sagte ich, »der Krieg ernährt seine Leute! Aber wie kommt es, Kindchen, daß du mir so vertraust, du hast mich doch nie gesehen?«
»Doch, doch«, sagte sie. »Ich kenne Euch! Bei Eurem letzten Besuch sah ich durch die angelehnte Tür, wie Monsieur de L’Etoile Euch begrüßte: Um einen einfachen Tuchhändler hätte mein Herr, der ja von gutem Amtsadel ist, nicht soviel hergemacht.«
Ich lachte, was mir wohltat und half, das grausige Erlebnis von vorhin ein wenig abzuschütteln. Vielleicht hätte ich mich, um es vollends loszuwerden, bei der sehr reizenden kleinen Person länger verweilt, wäre nicht meine Mission gewesen, die bekanntlich erforderte, alles zu sehen und zu hören, was sich in Paris begab, und so entriß ich mich der molligen Verlockung und eilte zum Grand Palais.
Der Jemand hatte L’Etoile nicht belogen. Ich fand dort großen Volkszulauf, und alles schrie nach Brot, meist waren es Arme und Ausgezehrte, unter die sich aber auch Bürgerliche mischten, die einen fast ebenso elend, die anderen fett, sogar Adlige sah ich, und notorische Ligisten, die mit scharfen Augen und gespitzten Ohren durch die Menge strichen, hätte der Ruf |220| »Hunger« doch leicht in den vermaledeiten Ruf »Frieden« umschlagen können. Kurz, es war eine so bunte Menge, daß ich eher eine Nadel im Heuhaufen gefunden hätte als hier den lieben L’Etoile. Trotzdem blieb ich, denn die Liga schien mir in großer Verlegenheit zu sein angesichts all dieser Leute, die weder Bewaffnete noch Rebellen noch »Politische« waren, sondern schlicht das große Leiden ihres leeren Magens, ihrer zunehmenden Entkräftung und ihres nahen Todes herumschrien, Hilfeschreie leerer Eingeweide, die auch der verbohrteste Ligist nicht als aufrührerisch verdächtigen konnte.
Das Gedränge wuchs von Minute zu Minute und füllte die Quais der Cité und der angrenzenden Gassen, ohne jede Gewalt, aber höchst eigensinnig in seinem kläglichen Schreien nach Brot! Brot! Brot! Die Geschichte mußte den Mächtigen zu Ohren gekommen sein, denn etwa eine halbe Stunde nach meiner Ankunft sah man, von Arkebusieren geschützt, eine offene Karosse, reicher als der Altar einer katholischen Kirche vergoldet, heranrollen. Und darin saß, was mein lieber L’Etoile so treffend als die viergeteilte Monarchie der Hauptstadt bezeichnete: der Herzog von Nemours, der Legat und Kardinal Cajetan, der Gesandte Mendoza. Nur die vierte Macht fehlte, die »Sechzehn«, die allerdings mehr Köpfe hatten als die Hydra von Lerna, so daß die Karosse sie nicht gefaßt hätte; indessen konnte man sie repräsentiert sehen durch Pierre d’Epinac, den Erzbischof von Lyon, den sicherlich abgefeimtesten Fuchs und verschlagensten Ligisten der Schöpfung.
Von diesem, dem Vierten in der Karosse (die in der Sommersonne funkelte wie lauteres Gold), will ich als letztem sprechen. Da er auf dieser Galeere der einzige Franzose neben einem Prinzen des Lothringer Clans, einem Italiener und einem Spanier war, alle drei weit mächtiger als er, ist es nur gerecht, wenn er, der gegen seinen König die Partei der Fremden ergriffen hatte, ihnen in den folgenden Zeilen nachsteht, die das Porträt dieser unheilvollen Fürsten ein wenig vervollständigen sollen.
Der schreckliche Mendoza, die Sonne dieser Galaxie, der zu halten befahl, fragte mit hochmütiger Miene einen Offizier, was all die Tröpfe da täten und was sie wollten. Genauer gesagt, nahm er die hochmütige Miene nicht an, er hatte sie, waren ihm doch von Natur engstehende Brauen, stechende schwarze Augen und ein stark vorspringendes Kinn eigen (ganz wie das seines |221| Herrn Philipp II.), das zugleich die Unterlippe zu anhaltender, verächtlicher Miene vorschob, über welche sich die lange iberische Nase niedersenkte. Stämmig gebaut, trug er die Halskrause hoch und streng, die glatten schwarzen Haare bis auf die Ohren, einen dünn gezwirbelten Schnurrbart und ein spitzes Ziegenbärtchen am Kinn.
Neben ihm in der prunkvollen Karosse und selber prunkend in seinem Kardinalspurpur der Legat Cajetan, der mit Mendoza, wie ich später hörte, so eng verbunden war, daß er mehr Spaniens Politik betrieb als die seines Herrn des Papstes Sixtus V., aber auf italienische Art, mit leisen, unauffälligen Mitteln, wo Mendoza den Eisenhandschuh gebraucht hätte. Cajetan war ein Mann von samtener, römischer Schönheit, sehr hoch geboren, überaus geistreich, mit
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