Paris ist eine Messe wert
zu retten war, zerschlagene Fensterscheiben, zum Plündern herausgerissene Türen, aufs Pflaster geworfene Möbel, stinkende Pferdekadaver überall und Hunderte von Toten, ihre, unsere – man sah, die Kämpfe Mann gegen Mann in Straßen und Gassen waren mörderisch gewesen.
Und bei alledem eine Stille, als wäre die Ortschaft ausgestorben, nur aus einer Kirche ließ sich dumpfes, anhaltendes Klagen vernehmen, so schauerlich, daß ich einzutreten beschloß. Auf den ersten Blick, als ich den Türflügel öffnete, sah ich unter der Kanzel eng geschart an dreißig Frauen knien und sich auf und nieder wiegen, weinend, betend, wimmernd, stöhnend. Und als ich, um nach dem Grund ihres Leids zu fragen, mich ihnen näherte, brachen die Frauen bei unserem Anblick in so herzzerreißende Schreie aus, daß es einem durch Mark und Bein fuhr und wir wie festgebannt verhielten. Da sie uns still verharren sahen, verstummten sie nach und nach, und hinter der Kanzel trat ein greiser Priester hervor.
»Monsieur«, sagte er, »gehört Ihr zu Monsieur de Mayenne oder zum Chevalier d’Aumale?«
»Zu keinem von beiden, Gott sei Dank! Ich bin von den Königlichen.«
»Gott sei Dank, wahrlich!« sagte der Alte. »Dann sind wir gerettet.«
»Habt Ihr das Trompetensignal nicht gehört? Mayenne ist geflohen. Der Vorort ist unser.«
»Gelobt sei Gott!« sagte der alte Pfarrer, »daß dieser Leidensweg ein Ende hat! Wenigstens für mich«, setzte er leise hinzu, indem er mich beim Arm faßte und beiseite zog, wo die Frauen ihn nicht hören konnten. »Denn für diese Ärmsten hat er erst begonnen, Monsieur. Als der Ort von Monsieur de Mayenne genommen wurde, flüchteten sie sich in meine Kirche, im Vertrauen darauf, daß die Ligisten, die sich ja als so inbrünstige Streiter für unseren Glauben ausgeben, den heiligen Ort respektieren würden. Aber, ach! dem war nicht so. Der Chevalier d’Aumale brach mit einer Truppe hier ein und gab seinen betrunkenen Soldaten die armen Weiber preis. Monsieur, ich kann Euch nicht schildern, welche Schändlichkeiten sich die ganze |59| Nacht auf diesen Fliesen abgespielt haben! Aber was konnte ich alter Mann dagegen machen? Als ich mir ein Herz faßte und einem Sergeanten meine Entrüstung aussprach, erhielt ich zur Antwort, sie kämpften für eine heilige Sache, darum sei ihnen von der Heiligen Kirche alles erlaubt.
»Und wie sollen diese Ärmsten«, fuhr der Pfarrer fort, »jetzt Vater, Gatten oder Brüdern unter die Augen treten, besudelt, wie sie sind, und womöglich geschwängert? Ich mag ihnen Mut zusprechen, so gut ich kann, daß sie heimgehen, sich waschen und versuchen sollen, ihr Leben weiterzuführen, aber was hilft es ihnen, wenn eine infame Frucht sich in ihrem Leibe regt? Sie oder sich selbst zu töten ist Todsünde.«
Mit zugeschnürter Kehle hörte ich die jammervolle Geschichte, und ich bemerkte, daß Pissebœuf und Poussevent dastanden wie begossene Pudel, wahrscheinlich hatten sie in dieser Hinsicht auch einiges auf dem Kerbholz, waren solche Übergriffe doch bei den Soldaten beider Lager gang und gäbe. Der kleine Page Moineau indessen, der seine Tränen nicht zurückhalten konnte, blickte weinend nach einem blassen Kind, das wie leblos bei den Klagenden unter der Kanzel lag und dessen zarten blonden Kopf eine Frau in ihrem Schoß hielt und streichelte.
»Diese Kleine«, sagte der Pfarrer sehr leise, »ist ein edles Fräulein aus Tours, sie war zu ihrem Unglück hier auf Besuch bei einer Tante. Zwölf Jahre ist sie alt. Der Chevalier d’Aumale selbst hat sie geschändet, und nicht nur einmal, nein«, und noch immer fassungslos schüttelte der Greis den Kopf, als er gedämpft hinzusetzte, »ich sage Euch, Monsieur, dieser Mensch ist eine Bestie. Wer weiß, ob sie es überlebt.«
Wir waren sprachlos, so unglaublich dünkte es uns, daß ein Edelmann aus alten Geschlecht wie der Chevalier d’Aumale 1 , ein Cousin der Lothringer Prinzen, zu solchen Niedrigkeiten fähig war. Und das Bild dieses geschundenen Kindes unauslöschlich im Sinn, verließ ich mit meinen Leuten still den Ort. Der Leser wird sehen, welche Strafe den Chevalier für seine Schandtaten ereilte und durch wen.
|60| Nach Mayennes Rückzug berieten der König und Navarra, ob sie dem großen Eber sofort mit ihren vereinigten Armeen nachsetzen sollten. Doch hatte Karl oder Carolus, wie man Mayenne auch nannte, bereits zu großen Vorsprung, als daß man ihn noch hätte einholen können, außerdem lagen weitum zu viele
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