Paris ist eine Messe wert
Rouen erschossen, als er aus kindischer Prahlsucht einen Wall erstieg und hinunterpinkelte, und Navarras Mutter machte ihren Sohn wieder zum Protestanten. Da war er neun. Zehn Jahre später, am Morgen nach der Bartholomäusnacht, wurde er von seinem Schwager Karl IX., das Messer an der Kehle, vor die Wahl gestellt: »Messe oder Tod«. Da war er neunzehn. Er entschied sich fürs Leben. Vier Jahre war Navarra praktisch der Gefangene Katharinas von Medici im Louvre, bis er dem goldenen Kerker entweichen konnte, zu den Seinen heimkehrte und zu ihrer Religion. Da war er dreiundzwanzig.
Vom sechsten bis zum dreiundzwanzigsten Jahr hatte er also unter dem unerbittlichen Druck der Umstände fünfmal die Religion gewechselt. Und an diesem Tag, dem 3. August 1589, |116| von dem ich hier erzähle, als er kaum ein paar Stunden König ist, bedrängen ihn die einen, seinem hugenottischen Glauben treu zu bleiben, und die anderen, ihm abzuschwören. Findet er sich aber zu letzterem bereit, wird dies sage und schreibe seine sechste Konversion sein, und wer soll dann noch glauben, daß sie ehrlich ist? Was immer Navarra jetzt tut – feststeht, daß man auf der einen wie auf der anderen Seite zuallererst an seiner Aufrichtigkeit zweifeln wird.
Leser und Freund, ist es nicht infam, welche Gewalt dieses Jahrhundert auf eine Seele ausübte, und der Gipfel der Ungerechtigkeit, daß man ihr dies nachher auch noch zum Vorwurf machte?
»Sire!« sagte Marmet, der hugenottische Oberhirte, während der König, den es nicht am Platz hielt, in seinem ruhelosen Gebirglerschritt den Saal vermaß, »könnt Ihr Katholik werden, ohne den Schwur, den Ihr den Reformierten geleistet habt, feige zu brechen (bei dem Wort ›feige‹ runzelte der König die Stirn, schwieg aber) und Eure Truppen im Stich zu lassen?«
Worauf der König nichts erwiderte, nur sein Hin und Her mit gesenkter Stirn fortsetzte, die Hände verschränkt auf dem Rücken.
»Sire«, sagte Mornay-Duplessis, der Hugenottenpapst, »wie oft Heinrich III. Euch auch aufforderte zu konvertieren, habt Ihr es doch stets abgelehnt. Wollt Ihr, was Ihr Eurem Souverän so oft verweigertet, nun Euren Untertanen zugestehen? Der Untertan hat sich dem König nicht gebeugt. Will sich der König jetzt den Untertanen beugen?«
Worauf Heinrich IV. zum Zeichen, daß er gehört habe, nur stumm die Brauen hob.
»Sire«, sagte La Trémoille, Befehlshaber der leichten Reiterei, »sie behaupten, kein Katholik werde sich einem ketzerischen König unterwerfen. Aber wieso? Der katholische König hat die Dienste der Reformierten durchaus in Anspruch genommen. Warum sollten Katholiken sich weigern, einem König der reformierten Religion zu dienen?«
»Sire«, setzte Mornay-Duplessis jetzt nach, »man hält uns entgegen, daß ein hugenottischer König etwas völlig Neues wäre. Ist Neuheit denn ein Hinderungsgrund? Gewiß herrschte in Frankreich nie ein Hugenotte, aber in England, Schottland, Dänemark und im Reich Navarra.«
|117| Hier verzog der König die Lippen, entweder weil er das Argument zu schwach fand oder aber es billigte.
»Sire«, sagte La Trémoille, Herr über fast den gesamten hugenottischen Adel des Poitou, den er Navarra zugeführt hatte, »Ihr müßt Euch entscheiden!«
Zur Antwort auf diese ungeduldige Aufforderung hob Heinrich abermals die Brauen, doch wiederum, ohne einen Ton zu sagen, was La Trémoille derart reizte, daß er sein stärkstes Geschütz auffuhr.
»Sire«, fuhr er mit starker Stimme fort, »Ihr müßt Euch unverzüglich entscheiden, und zwar in dem von uns genannten Sinn. Denn es steht außer Zweifel, Sire: wenn Ihr Euren Reformierten den Rücken kehrt, kehren auch sie Euch den Rücken!«
In dieses sonderbare Konzilium, bei dem der Hauptredner kein einziges Wort sprach und sich auf seine Mimik beschränkte, platzte eine Abordnung »der Diener des seligen Königs«, die sich François von O zum Sprecher erkoren hatte. Epernon, obwohl anwesend und als Herzog und Pair weit über François von O stehend, hatte die Rolle abgelehnt, um der Dinge in sicherer Deckung zu harren.
Die Herren der Abordnung warfen wenig freundliche Blicke auf die Räte Navarras, und diese erwiderten sie ohne Liebe, ahnten sie doch, daß das Korn, das jene Herrschaften zur königlichen Mühle brachten, kein Mehl ergäbe, das ihnen schmecken würde. Und wer weiß, ob dieser Krieg der Augen François von O so starr machte, jedenfalls hatte er kaum den Mund aufgetan, da war es, als zischten Schlangen
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