Paris ist eine Messe wert
Beine, der lange Oberkörper – es nahm sich nun einmal nicht elegant aus. Weder hatte er Heinrichs königlichen Wuchs noch seinen schreitenden Gang, weder die edlen Proportionen noch die prächtige Gewandung und schon gar nicht die beeindruckende Haltung. Seinen Bewegungen fehlte die Harmonie der Gebärden, seiner Sprache die erlesene Rhetorik, auch waren seine Gesichtszüge nicht so verfeinert und seine Augen nicht so schön, so leuchtend und beredt.
Der König, den ich nun sah, roch nach Feldlager, Leder und Schweiß. Jede kleinste Bewegung verriet Kraft, in seinem langen Oberkörper wie in seinen mageren, muskulösen Hahnenbeinen steckte eine unermüdliche Energie, und er zeichnete sich in allen athletischen Übungen aus. Er war ungeschliffen |114| und keine Spur erlaucht. Immer rastlos und rege, verbrachte er weniger Zeit im Bett als Mayenne bei Tisch, und war er im Bett nicht allein, hatte er anderes vor als zu schlafen. Ein Brotkanten, eine Zwiebel, ein Krug Wein, das war sein Frühstück, er schlief auf Stroh, saß achtzehn Stunden mit dem Hintern im Sattel, schlug sich wie ein Löwe und dachte wie ein Weiser.
Nach seinem großen Schädel, seiner mächtigen, hohen Stirn zu urteilen, hatte er, um Montaigne zu zitieren, »einen ebenso gut gefüllten wie gut geformten Kopf«, was man sowohl an seinem scharfen, direkten und durchdringenden Blick erkannte, mit dem er auf den Schlag Menschen und Situationen einschätzte, ohne sich jemals zu irren, als auch an seiner knappen, raschen und stets angemessenen Sprache, seiner Gabe, in schwierigen Momenten just das zu sagen, was zu sagen war, nicht mehr, nicht weniger. Doch ebensogut wußte er, und gleichfalls ohne sich jemals zu täuschen, wann es besser war, zu schweigen.
Schön war sein Gesicht nicht, vielleicht war es für seinen Körper zu groß, die Nase zu lang und gebogen, und sein Kinn sah aus, als wollte es sich zu ihr aufschwingen. Und trotzdem, weil der König für gewöhnlich so heiter und fröhlich war, so voller Geist und Witz, und zu jeder Stunde, an jedem Ort für jeden das rechte Wort fand, weiß ich keinen, der seinem unwiderstehlichen Zauber nicht erlag.
Er forderte mit liebenswürdigen Worten. Er tadelte mit Nachsicht. Er verzieh mit Güte. Er lobte feinfühlig. Weil er jedoch, wie gesagt, Menschen über jedes gemeine Maß hinaus schnell und treffend einzuschätzen wußte, war er auch ungemein mißtrauisch – er war nur zu oft verraten worden. Und immer schon auf den Verrat desjenigen gefaßt, den er am meisten liebte, fiel er auf niemanden herein, außer auf Frauen.
Die Worte, die er im gewöhnlichen Gespräch am häufigsten gebrauchte, waren »vernünftig« und »weise«, und »Vernunft« und »Weisheit« besaß er selbst mehr als jeder andere, nur nicht, wo er liebte. All sein Lieben war Narretei, es war die Schwäche seines Lebens, anders jedoch wäre er kein Mensch, sondern ein Gott gewesen. Was seine Sprache anbelangte, so finde ich sie am besten in der Beschreibung charakterisiert, mit der Montaigne, obwohl er gewiß nicht an ihn dachte, sich über den von ihm am meisten geschätzten Stil ausließ: »Die Sprache, die ich bevorzuge, ist schlicht und schmucklos, und zwar |115| schriftlich wie mündlich, eine saftige und nervige Sprache, klar und bündig, lieber zupackend und derb, regellos, sprunghaft und gewagt denn verschnörkelt und frisiert, nie gestelzt und gelehrsam, sondern soldatisch.«
Unbestritten erfolgreich im Feld, aber glücklos in seinem Ehestand, konnte der König keine Königin an seiner Seite vorweisen, denn von Königin Margot 1 – dem Dorn in seinem Fleisch – hatte er sich wegen ihrer Hurereien früh getrennt, und nach ihrem Versuch, ihn zu vergiften, hatte er sie schließlich sogar eingekerkert. Seine Glorie litt ein wenig darunter, kaum aber sein Herz, dem eine andere Wunde schmerzlicher zusetzte, nämlich daß er sein Leben lang von einer Religion hatte zur anderen wechseln müssen.
Und weil auch seine Feinde nicht aufhörten, ihm die Widrigkeiten und Zwänge vorzuwerfen, die ihn zu diesen mehrfachen Wechseln nötigten, erlaube mir der Leser darzulegen, wie es damit stand.
Katholisch getauft, wurde er mit sechs Jahren protestantisch, weil sein Vater, Antoine von Bourbon, zu den Reformierten übertrat. Nach zwei Jahren kehrte der Wirrkopf Antoine zur Religion seiner Väter zurück und zwang den Sohn mit der Peitsche wieder in die Messe. Da war Navarra acht. Ein Jahr darauf wurde Antoine bei der Belagerung von
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