Paris - Stadt der Sehnsucht
langsam klar, dass er selbst nach einem Blick in ihr Notizbuch noch keine Vorstellung von ihrem Talent gehabt hatte. Polly war ein unschätzbarer Gewinn für seine Firma.
Gérard fing Damons ungläubigen Blick auf. Er hob sein Glas und prostete ihm zu. „Sie ist unglaublich, nicht wahr? Ich mache Ihnen zwar nicht gern ein Kompliment – Ihr Ego ist bereits groß genug –, aber ich ziehe meinen Hut vor Ihrer Übernahme der Prince-Agentur. So ein Talent findet man selten.“
Damon widersprach ihm nicht. „Polly hat in der Tat einige sehr kreative und originelle Ideen“, stimmte er zu. „Und unsere Firma hat glücklicherweise die Möglichkeiten, diese Ideen in die Realität umzusetzen. Mit uns bekommen Sie ein Team der Spitzenklasse.“
Gérard stach unbeeindruckt in eine Jakobsmuschel. „Ehrlich gesagt interessiert mich nicht das Team. Mir geht es um Polly. Ich wollte sie selbst engagieren, aber dann haben Sie mir dieses Talent vor der Nase weggeschnappt.“
Damon runzelte die Stirn und suchte nach einer Erwiderung. Polly dagegen schien gar nicht mitzubekommen, worüber die beiden Männer redeten. Sie hatte ihren Teller zur Seite geschoben und kritzelte in ihrem Notizbuch.
Schließlich schaute sie auf. „Wir haben mehr als genug Zeit, um uns für eine Strategie zu entscheiden. Das Wichtigste ist jedenfalls, eine Marke zu kreieren. Wir sollten dabei YouTube nutzen, um in Kontakt mit den Kunden zu kommen …“
Als das Essen beendet war, hatte Gérard das Budget verdreifacht und war dabei, Pollys Ideen für zwei weitere Produktlinien anzuhören.
Damon ertappte sich dabei, dass er nicht hätte sagen können, worüber sie sprach. Immer wieder sah er sie an und stellte sich vor, wie ihre Lippen sich angefühlt hatten. Dennoch wurde ihm langsam klar, dass sie von Anfang an das Wohl ihrer Leute im Sinn gehabt hatte. Er hatte ihr Eigennutz unterstellt, denn die Erinnerung an die kleine Unruhestifterin und der Ärger über ihren Vater hatten sein Urteilsvermögen gründlich getrübt.
Polly war nicht faul, ganz im Gegenteil, sie arbeitete genauso hart wie er selbst. Und sie war nicht weniger professionell. Er dachte daran, wie sie gestern blutverschmiert im Krankenhausbett gelegen hatte. Heute ließ sie sich nichts mehr davon anmerken, obwohl ihr Kopf noch immer schmerzen musste.
Damon bildete sich etwas auf seine Menschenkenntnis ein, und er lag selten daneben, wenn er Leute einschätzte. Aber bei Polly …
Grimmig dachte er über seinen Fehler nach, als er plötzlich bemerkte, dass Gérards Aufmerksamkeiten Polly gegenüber immer deutlicher wurden. Überrascht fühlte er, wie Ärger heiß in ihm aufstieg.
„Lassen Sie uns den Abend mit einem Blick von der Aussichtsplattform beenden“, schlug Gérard jetzt vor und lächelte Polly an. „Der Blick vom Eiffelturm bei Nacht ist zauberhaft.“
„Nein!“, widersprach Damon sofort.
Bei dem Gedanken an Polly und den berüchtigten Playboy Gérard, zusammen an einem so romantischen Ort, brach ihm der Schweiß aus. Er stand abrupt auf und bat den Kellner, ihre Mäntel zu bringen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Gérard ihn stirnrunzelnd anschaute, doch das interessierte ihn in diesem Moment nicht. Er wollte nur, dass Polly endlich wieder den Mantel anzog und von oben bis unten zuknöpfte.
„In den nächsten Tagen schicken wir Ihnen das Angebot, Gérard.“ Damon versuchte, wieder die Kontrolle zu gewinnen. Mit festem Griff geleitete er Polly bis zu der Limousine, die unten vor dem Turm auf sie wartete.
Sobald der Fahrer sie sah, stieg er aus und öffnete die Wagentür, doch Polly schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich gehe zu Fuß. Es war eine furchtbare Woche. Ich brauche ein bisschen frische Luft, und hier ist es so schön.“
Hinter ihr zeichnete sich der hell erleuchtete Eiffelturm vor dem dunklen Himmel ab, und Damon sah, wie sie sich sehnsüchtig danach umschaute. „Nehmen Sie den Wagen. Ich finde meinen Weg zurück.“ Sie holte ein Paar flache Schuhe aus ihrer Handtasche und tauschte sie gegen ihre hochhackigen.
Er konnte sie nicht allein durch Paris gehen lassen! Selbst in ihrem langen Mantel würde sie jedem Franzosen den Kopf verdrehen.
Damon nahm ihr die hohen Schuhe aus der Hand, gab sie dem Fahrer und bat diesen, allein zum Hotel zurückzufahren. Dann reichte er Polly den Arm. Langsam schaute sie von seinem Arm hinauf zu seinem Gesicht.
Bei ihrem erstaunten Blick konnte Damon ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Waffenstillstand.
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