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Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Jouhandeau
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Weges ziehe, da spüre ich meinen Schmerz nicht mehr. Je schneller ich gehe, desto weniger leide ich, und je mehr ich leide, desto schneller gehe ich. Ich bin nicht ›unglücklich‹ in diesem Augenblick, weil Sie mit mir reden, weil ich ein ansehnliches Stück Brot in der Tasche habe und das Geld, das die Schwester mir gegeben hat, aber wenn Sie mich verlassen, werde ich wieder leiden und weiter meines Weges ziehen … Wie schön ist das, Paris, dieses herrliche Kaufaus! Aber ich schau lieber gar nicht hin. Wenn ich hinschaute, ginge ich in das Kaufhaus, und man würde mich vor die Tür setzen, und wenn ich zum Friseur ginge? Es gibt keinen Friseur, Heber Herr, für die Landstreicher.« Bei diesen letzten Worten hatte er seine Hände vertraulich auf einen meiner Ärmel gelegt, zwei fleischige, feingeformte, etwas bleichhäutige, teuflische Hände wie die eines Geistlichen. Ohne Hefigkeit schob ich sie fort, nicht aus irgendeinem Widerwillen, noch aus Furcht vor der Hefigkeit meines Mitleids, sondern aus einer Art unwahrscheinlichem Respekt, den ich in mir anwachsen fühlte, je mehr sich auf diesem verschmutzten, verwüsteten, fast heruntergekommenen Gesicht weniger Schande als Licht offenbarte.
    Ich gab etwas Geld und ging davon. Ich hatte noch keine drei Schritte getan, als ich mich umwandte, doch der Mann war schon verschwunden, ohne daß ich hätte wissen können wie. Es gab keinen Friseurladen in der Nähe noch irgendeine andere Straße als die schnurgerade Rue de Sevres; dort entdeckte ich ihn denn auch schließlich, aber ganz in der Ferne, wo er raschen Schrittes enteilte, so rasch, daß ich ihn kaum wiedererkannte, als auch er seinerseits sich umwandte, mit erhobener Rechten, als wollte er Abschied winken oder mich segnen.

    Zieh dich hübsch an, mein Kind

    Sie hat das würdevolle Betragen jener Frauen, die einmal schön, reich, hochgestellt waren, die ihre Herrschaf und den Verstand verloren haben; doch die Gewohnheit der Würde und ein gewisser Gebrauch der Vernunf sind ihnen nicht völlig abhanden gekommen. Ihre ehemalige Eleganz folgt ihnen nach, bildet immer noch ihr Geleit. Sie schneidert sich selber seidene Jacken aus ihren Jungmädchenkleidern, die dreißig Jahre lang auf dem Speicher gehangen haben. Ihre Strümpfe sind so durchlöchert, daß die Beine fast nackt sind; einen einzigen ihrer Schuhe ziert eine Brillantschnalle. Der Hut trägt einen Rest Paradiesvogel, aber die Ratten haben seine Krempe zernagt. Ringe und Armbänder von einem gewissen Wert und schmutzige Hände.

    Sie hat sich eine Tasse Kaffe und ein Butterhörnchen servieren lassen, auf der Terrasse der Bar des Hôtelde-Ville, mir fast gegenüber, und seit langem steht nur noch ein Siphon vor ihr, als ich sie ein Geldstück in den Mund schieben sehe, eben wie der Zeitungsverkäufer mit der Nachtausgabe des Intransigeant erscheint. Sie ruf ihn herbei, doch ich glaube zu bemerken, daß sie, statt zu lesen, ihre Zeitung heimlich in kleine Stücke reißt und sie aufißt.
    Jetzt gießt sie sich von dem Selterswasser in ihre Tasse. Gruppen bilden sich, und der Kellner wird ungeduldig. Um etwas Fassung zu gewinnen, tupf sie mit ihren Fingern, die von Druckerschwärze dunkel sind, die verstreuten Zuckerbrösel vom Tisch auf und führt sie zum Munde. Der Besitzer kommt, und bittet sie, das Lokal zu verlassen.
    War mein Blick zu starr und glühend für einen bloßen Kaffeehausgast, oder bin ich dieser Närrin ganz nahe? Jedenfalls trif mich die Kränkung, die man ihr zufügt. Meine Tränen fließen, als würde ich selber verjagt.

    »Zieh dich hübsch an, mein Kind«, hatte sie sich zur Verständigkeit ermuntert. »Setz deinen schönsten Hut auf, nimm den Seidenmantel, die Ringe und geh ein wenig an die Luf, wie die andern Leute auch. Das ewige Eingeschlossensein tut nicht gut, da kommt man auf wunderliche Gedanken. Geh einmal aus. Du wirst sehen, es vergeht. Du kommst gar nicht mehr auf den Einfall, dir ein Geldstück in den Mund zu schieben oder das Papier deiner Zeitung aufzuessen.« Und als sie an dem Café des Hôtel-de-Ville vorbeikam, das sich in die Straße vorschiebt, und die Gäste sah, die da und dort behaglich wie bei sich zu Hause das Bestellte verzehrten, war der Schein dieses gelassenen Daseins so verlockend, daß sie mit großer Sanfheit zu sich gesprochen hatte: »Sieh, mein Kind, warum willst du nicht wie jedermann dich hier niederlassen, auf dieser Terrasse, und auch ein Gläschen zu dir nehmen? Du hast keine Lebensart

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