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Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Jouhandeau
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zunutze machte, um die Tür zu erreichen, bemerkte ich ein halb geöffnetes Auge. Wider Willen entschloß ich mich, zu bleiben. Das Auge sank zu. Da überkam die Versuchung, aufzubrechen, mich abermals mit solcher Gewalt, daß ich meinem Kerkermeister einen kräfigen Stoß mit dem Knie versetzte, um ihn zur Wachsamkeit zu ermuntern. So leicht gewöhnt man sich daran, ein Häfling zu sein, daß es mir weiß Gott eine Enttäuschung bereitete, und was für eine! als an der Place de Clichy, ohne mich noch eines einzigen Blickes zu würdigen, der Polizist sich erhob, und allein davonging. Alle Augen unserer Mitinsassen schienen mich um Entschuldigung zu bitten. Meine Kleidung verlor wie von selber ihre Abgeschabtheit, und ich spürte, wie ich wieder ein redliches Gesicht bekam, während gleichzeitig meine Hände, die nichts mit ihrer Freiheit anzufangen wußten, sich erhoben, um von meinen Knien sich zu entfernen, wie zwei lange mißhandelte Vögel. Ich ging an dem Hause Nummer 6 der Rue Coulaincourt vorbei, ohne innezuhalten. Wozu auch? Nichts hatte mehr den gleichen Reiz für mich, und den ganzen Abend, die ganze Nacht durch irrte ich, ohne mich für diese oder jene Richtung entscheiden zu können, immer noch unter der Last meines gefährlichen, unbekannten, wirklichen Verbrechens, durch die ungeheure Stadt, eine Beute meiner Opfer.

    Himmelstochter und Höllenbraut

    Fledermaus oder Engel, Rauch und Schmutz, seidene Schuhe, Salatherz, die Perücke der Magdalena und darauf dieser Hut, besteckt mit Souvenirs, mit einem Orangenblütenzweiglein und einer Perlmutteragraffe, mit Samtblumen und anderen aus Papier, mit einem Bootssegel und einem hangenden Flügel. Und dieses Zeichen auf der Wange, das sie wie ein Wundmal brannte. Flechte oder Biß? Folge eines Sturzes auf das Antlitz oder nah dem Munde ein Mund des Bösen, der dort Atem zieht? Ach, warum habe ich deiner so lang gespottet? Doch ich will es wiedergutmachen, ich will mich bestrafen, mein Engel. Als ich zu dir sagte: »Gott«, war deine Antwort: »Jesus«. Gott? sie wissen nicht, was das ist, aber Jesus? den kennen sie. »Wer nicht gegen ihn ist, der ist mit ihm.« So wendet sie das heilige Wort zu ihrem Gebrauch. – »Des Abends wohne ich auf der Bühne eines Teaters, und die übrige Zeit irre ich von Hotel zu Hotel, mein Fieber zu stillen. Alles, was ich besitze, trage ich hier auf meinen Armen: ein Hemd zum Wechseln.« Geweihtes Korporale, mit Rosen bestickt und mit Vergißmeinnicht, ich sehe dich vor mir, und als ich sie nach ihrem Alter fragte, hat sie mich nicht belogen. »Nackt sehe ich wie fünfzehn aus.« Anbetungswürdig unverwechselbares Wesen, tief ist hinfort unser Bündnis. Dich erwähle ich mir zum Bilde der Schönheit. Dir vermähle ich mich. Du bist ergreifender als die Schönheit. Du bist die christliche Venus, schmächtig, krank, verfault, mit kleinen harten Brüsten, immer ungewaschen und voller Pickel, mit langen spindelförmigen Beinen, bedeckt von Lumpen, sichtbar das Herz unterm Straßenstaub wie eine leuchtende Distel, vor welcher das rätselhafe Mannstier seinen Eselsschrei ausstößt.
    Welchen Geheimnissen in mir bist du nahegekommen; als ich dich fragte: »Hast du geliebt?«, war deine Antwort: »Nein. Ich war noch mit niemand außer mir.« Da erschienst du mir so groß, daß die Brücke, auf der du daherkamst, nur noch ein lufiger Steg war und der Himmel ein blecherner Heiligenschein.

    Gottvater

    Heute abend bin ich unter den Pont-Neuf hinabgestiegen, um einen Mann zu besuchen, der wie Gottvater selbst aussieht. Der gleiche Bartschnitt, das gleiche Profil. Es hieß, er sei närrisch. Hat er sich über mich lustig gemacht? Nackt oder doch fast nackt unter einer grünen Schärpe, erklärte er mir: »Ich habe hier meinen Radioempfänger. Ich stehe in Verbindung mit den fünf Erdteilen. Oben von der Brücke werfen sie mit Steinen nach mir, aber die nach mir werfen, können mich nicht treffen. Die Engel, die auf der Platane dort sitzen, wehren die Würfe mit einem Schläger ab. Meine Filialen sind über die ganze Erde verteilt. Die Astrachanpelze, die ich in Rußland eingekauf habe, verschimmeln, ich weiß es wohl, aber das hat nichts zu sagen, man wird sie reparieren, und sollte man Haar um Haar einzeln einsetzen müssen, es geschieht. Meine Keller in der Rue du Bac sind zu feucht. Ich habe auch drei Schleppkähne voll Obst und Gemüse auf der Seine fahren. Eine Banane ist wie ein Ei. Ein Ei? Man rührt es an, es zerbricht. Eine

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