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Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Jouhandeau
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sie sich zurechtgemacht, ihm ein Kleidungsstück nach dem andern entrissen, und endlich, als gerade die Lieferung aus der Kolonialwarenhandlung eintraf, hat sie das Weite gesucht. Schon ist sie auf der Straße, er hinterdrein, dem nun nichts anderes übrigbleibt als ihr nachzugehen, schrägen Ganges wie einer, der sie nicht kennt. Was sonst sollte ihn an dieses Monstrum fesseln? Anfangs sucht sie ihm sehr rasch aus den Augen zu kommen, und schon meint man, sie verschwände; dann aber – hat sie plötzlich Angst vor sich selbst, ich meine: Angst davor, so frei und allein zu sein, wie es sie verlangt? – kehrt sie wider Willen und doch aus eigenem Antrieb zurück: sie geht auf ihn zu, als hielte ein unsichtbarer Faden sie an den Mann gebunden. Gleichzeitig jedoch, und je näher sie kommt, beschimpf sie ihn, droht ihm mit Schlägen. Hinterhältig tritt sie ihm gegen die Beine, fährt ihm mit der Faust ins Gesicht, und der Skandal würde bald offenkundig, wenn er nicht, als ob durchaus nichts Ungewöhnliches vorginge, seine Augen auf den Rand des Gehsteigs gehefet hielte, bis er, als er sie wieder davonsegeln sieht, um ihre Fährte nicht zu verlieren, einige Schritte tut. Wendet sie sich dann und bemerkt, daß er nicht mehr am alten Platz steht, so versetzt die Feststellung, daß er immer noch da ist und ihr nachgeht, sie in Wut, in Raserei, und vermutlich weil sie die Hoffnung aufgegeben hat, sich ihm durch ein anderes Mittel entziehen zu können, greif sie nun zur Schamlosigkeit nach der Gewalt. Nur die Schande, denkt sie, wird ihn von mir abbringen: mit raschem Griff, wobei sie sich vorsorglich in eine Toreinfahrt zurückzieht, um alle zehn Sekunden von vorne beginnen zu können, ohne die Menge aufzuhetzen oder die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu lenken, hat sie ihre sämtlichen Röcke bis unter die Augen hochgeraf. Bei diesem Anblick erstarrt der General, zur Statue vergeistert, aber das genügt ihr noch nicht: sie nähert sich ihm, im hellen Tageslicht, und mit beiden Händen, die sie zwischen ihre Beine geschoben hat, hebt sie in bacchantischem Taumel ihren Bauch bis an die Brüste hinauf. Es ist fünf Uhr nachmittags. Der General ist bleich. Wie weit wird sie es treiben? Er zittert. Ein Polizist nähert sich. Wie durch ein Wunder hat eben das Übermaß ihrer Kühnheit sie beruhigt. Sie wird allmählich wieder sie selbst, als hätte sie sich besonnen. Sie affektiert sogar die äußerste Korrektheit. Ist es Ironie? Jungfer Zimpferlich schlägt die Rue du Vieux-Colombier ein, wo sie sich für die Geschenkartikel hinter den Schaufenstern, für die Aushängezettel des Teaters zu interessieren scheint, wie eine Kirchgängerin von Saint-Sulpice, die artig aus der Vesper nach Hause kehrt. Für einen Augenblick ist der General seine Angst los, und ich meine mich zu sehen, wie ich bisweilen meine Seele spazierenführe.

    Blicke

    Das Gesicht von goldenen Zöpfen umrahmt, läßt ein junges Mädchen sich mir gegenüber nieder. Sie ist auf eine so natürliche Weise schüchtern, daß unsere Blicke alsbald sich zu kreuzen beginnen: ich schaue auf ihre Hände, während sie auf die meinigen schaut. Die Mutter denkt: ›Er findet sie schön‹, und ich bin sicher, daß sie stolz darauf ist; gleich hernach aber beginnt sie, mich durch ihr Lorgnon vom Kopf bis zu den Füßen zu mustern, um festzustellen, was das für ein Mann ist, dem ihre Tochter gefällt. Aus der Miene, die sie aufsetzt, muß ich schließen, daß sie nun weniger stolz ist.

    Die Handschellen

    Kaum hatte ich in dem Autobus Platz genommen, als ein Polizist, der hinter mir eingestiegen war, sich mir gegenüber niederließ. Um seinem Blick auszuweichen, lächelte ich, aber ich war schon gefangen … Aufmerksam musterte er mein Gesicht, meine Hände, meine Kleidung, und wir saßen so abgesondert in der Tiefe des Wagens, daß alle Augen auf uns gerichtet waren. Ich wagte nicht, den Platz zu wechseln. Der Polizist wäre mir gefolgt, und niemand hätte noch den leisesten Zweifel gehabt, in was für einen Zustand ich geraten war, bei meiner offenkundigen Unfähigkeit, hinfort ohne einen solchen schrecklichen Schutzengel zu reisen. Bei der geringsten Bewegung ließ eine drohende Gebärde mich erstarren. Schon sdimerzten mich die Handschellen. Behutsam tat ich die Handgelenke voneinander, um mich zu vergewissern, daß sie nicht mehr frei waren, doch ohne mit der Kette zu klirren. Der Schutzmann nickte ein. Als ich mich fragte, warum ich mir seinen Schlaf nicht

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