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Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Jouhandeau
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Priester. ›Das ist wohl seine Spezialität?‹ vermutete ich bei mir selbst. Unerbittlich aber hatte der Priester ihn mit einem einzigen Blick abgeschätzt und verworfen. Da entschloß ich mich, ihn anzusprechen. »Guten Tag, mein Freund«, sagte ich. »Was suchen Sie denn: Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein?« – »Oh! mein guter Herr«, erwiderte er, »da braucht’s keine langen Erklärungen: mit mir sieht’s böse aus, ich bin ›im Unglück‹ wie man so sagt (aber während er das Wort ›Unglück‹ aussprach, lächelte er, als fiele es ihm schwer, sich selbst davon zu überzeugen, und als hätte er sich nur deshalb bereit gefunden, sich einen Unglücklichen zu nennen, um mir nicht zu widersprechen oder mich nicht zu betrüben). Wenn ich mich vor allem an geistliche Personen wende, müssen Sie mir das nicht übelnehmen, ich tue das nur, weil diese Personen mir mehr als andere dazu ausersehen scheinen, mir zu helfen. Sie haben mir so viel Gutes und Böses getan.« Während dieser Worte fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er sich, in Ermangelung eines Spiegels, über sein Aussehen vergewissern. »Sehen Sie«, fuhr er fort, »ich bin sehr ›ungepflegt‹ bei diesem schönen Sonnenschein, und das vor allem macht mich unglücklich.« Er schluchzt. »Ich war so schmuck, lieber Herr, in meinen frühen Jahren, ich hielt auf mein Äußeres. Ach, wenn meine arme Mutter mich in diesem Aufzug sähe, lieber Herr! Was das wohl kosten mag in einer Stadt wie dieser, wenn man sich den Bart scheren läßt? Ich wäre so glücklich, frisch rasiert zu sein bei diesem schönen Sonnenschein. Das Gesicht ist die Sonne des Körpers, und wenn es nicht strahlt, ist der ganze Körper traurig. Die Schwester hat mir zwar einen Franken gegeben, aber ich wette, das reicht nicht? Gewiß, ich habe ein Rasiermesser in meinem Kasten, aber ich kann mich doch nicht auf offener Straße hinstellen, auf dem Bürgersteig, vor dem Spiegel eines Schaufensters, um mir den Bart zu schaben, ohne daß jedermann mich für einen Sonderling hielte?« – »Und wohin sind Sie unterwegs?« – »Nach Clamart, lieber Herr.« – »Was haben Sie dort vor?« – »Ich will mich als Gärtner verdingen, bei den guten Schulbrüdern, die ich dort kenne. Es ist die rechte Jahreszeit. Bis zum Sommer will ich bei ihnen bleiben, dann ziehe ich weiter. Ich war nämlich einmal Novize, müssen Sie wissen, früher in Brüssel, bei den Patres. Daher bin ich die Frommen gewohnt. Ich kenne ihre Art, und bei ihnen fühle ich mich weniger fremd als anderswo. Sie werden sagen, ich hätte besser daran getan, mein geistliches Gewand zu behalten, statt diesen Umhang anzulegen. Gewiß, lieber Herr, aber eines Tages wollte ich heiraten, und ich habe Kinder. Mit dem Hausstand hat mein ganzes Unglück angefangen.« (In ›Unglück‹ schien mir, ich weiß nicht warum, so etwas wie ›Verbrechen‹ mitzuklingen.)
    Sein Gesicht war vor mir, wie aufgeschlagen, und aufmerksam las ich darin: ein seltsam verrunzeltes Gesicht eines noch jungen Mannes, der durch die Qual der schlimmsten Leiden und der schlimmsten Verbrechen hindurchgegangen war. Der Schatten des Gendarmen, auf den man nächtelang gelauert hatte, schien hinter der runden Schulter zu stehen, und ich war mir so gut wie sicher, daß der Mann aus dem Gefängnis kam. Als ich mich in meinem Innern entschuldigte, so zudringlich gewesen zu sein: »Nein, ich schätze Ihre Sympathie«, sagte er, »und ich kann es Ihnen vom Gesicht ablesen, daß wir beide fast den gleichen „Weg zurückgelegt haben müssen, der uns heute früh hier in der Rue de Sevres zusammengeführt hat. Nur daß Sie gut gekleidet sind, und ich sehr schlecht. Sind Sie auch Novize bei den Patres gewesen? in welcher Provinz und in welchem Haus, wenn ich fragen darf? Ich meinerseits, was soll ich tun? ich halte es nirgendswo mehr aus. Wenn ich zwei Tage an einem Ort bin, möchte ich gleich wieder anderswo sein. Das kommt daher, daß ich Bretone bin. Ich hätte zur See gehen sollen. Ich habe es versäumt. Aber so ist es das gleiche. Die Erde flieht mir unter den Füßen. Ach, mein lieber Herr, wenn Sie meine Füße sehen könnten, Sie hätten Mitleid mit ihnen. Ich bin sicher, daß sie voll Blut sind, ganz voll Blut. Man kann sie nicht anschauen, ohne zu weinen. Ich umwickle sie mit Stoffresten, mit Binden, die armen, wunden Füße unseres Herrn Jesu, und ich stecke sie in diese Holzschuhe, und sobald ich sie nicht mehr sehe und wieder meines

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