Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Jouhandeau
Vom Netzwerk:
mehr. Gönne dir doch ein kleines Vergnügen, eine kleine Erholung. Sei einmal nett zu dir, und du wirst sehn, es vergeht.« Kaum jedoch hatte sie Platz genommen, als sie sich fremd fühlte, wie ausgestoßen und ganz verschieden von ihrer Umgebung, »anders«, aus einer anderen Welt. Alle blickten zu ihr herüber: was hatte sie denn so Sonderbares an sich? Sie versuchte, diese Empfindung für eine Täuschung zu halten, sich sogar der Voreingenommenheit zu beschuldigen, der Sucht, sich immer von den andern unterscheiden zu wollen, sich abzusondern, aber gleichzeitig brachte alles um sie und in ihr sie außer sich, stürzte alles sie mit Gewalt in ihren kleinen Abgrund, in ihr Ausgeschlossensein zurück, und auf dieser Kaffeehausterrasse so vereinsamt wie in ihrer armseligen Behausung, hatte sie schon begonnen, eine Münze in den Mund zu stekken, als der Zeitungsausrufer vorbeikam. – »Kauf dir eine Zeitung, mein Kind, wie die andern Leute auch, und die wirst du dann lesen und wirst wenigstens das Geldstück los sein, mit dem du so wenig anzufangen weißt, daß du es im Munde trägst. Wie angenehm wird das sein, wenn du bei diesem Licht die Spalte der Vermischten Nachrichten liest und die Teaterkritiken; da wirst du diese schlechte Gewohnheit vergessen, die du angenommen hast.« Sie ruf den Mann herbei, sie zahlt. Sie hält die Zeitung in Händen, schlägt sie auf; gleichzeitig bemerkt sie, wie schwer es ihr fallt, die Zeitung auseinanderzufalten und wieder zusammenzulegen, um die Buchstaben zu betrachten, ohne sie zu lesen, denn sie sieht sich die Buchstaben betrachten, sie liest nicht, sie tut nur so, als läse sie, tut nur so, als lebte sie. So ist das. Wenn sie sich dann eine Weile zugesehen hat, wie sie sich verstellt, sich stellt, als wäre sie wie die andern auch, und sich nun überzeugen muß, daß es ihr nicht gelingt, daß es unmöglich ist, daß alles, was sie heute abend gegen sich selbst unternommen hat, als sie ausging, als sie herkam und sich auf dieser Terrasse niederließ, dann diesen Mann herbeirief, nichts anderes war als ein höchst vertrackter Umweg, um wie allemal einzig und allein ihrer Manie zu frönen, da beginnt sie denn zuletzt ganz mechanisch, verzweifelt, unweigerlich, nach einer unerbittlichem Logik, eine Ecke ihrer Zeitung einzureißen und sie zu verspeisen!

    So auch du, Marcel. Wenn du, eine Zigarette zwischen den Lippen, auf einer Kaffeehausterrasse Platz nimmst, möchtest du dich betragen wie alle andern auch, doch es gelingt dir nicht, du bleibst ein Fremder hier, überall, nackt oder mit einem Purpur bekleidet, der ungewollt an dir prangt und der dich zum Ärgernis macht, wo du erscheinst, an jeder anderen Stelle nicht minder verstört als auf diesem Platz des Hotel-de-Ville. Es muß da leider, oder Gott sei Dank, etwas in dir sein, das die Welt ausschließt, oder etwas außer dir, das dich ausschließt, O dieses einzigartige Gesicht, der Spiegel einer einzigartigen Seele! Wie die Blinden sich stellen, als sähen sie, und die Tauben, als hörten sie, so stellst du dich, als vergnügten dich die gleichen Dinge wie die übrigen Menschen, aber wenn es dir gelingt, die andern zu täuschen, so weiß deine Narrheit doch Bescheid über dich. – »Wie angenehm wäre es doch, auf der Terrasse dieses Cafés etwas zu sich zu nehmen, wie alle anderen auch!« sagst du dir und läßt dich dort nieder, aber schon funkelt dein Blick zu sehr, gleich wirst du auf stehn, und es dauert nicht lange, da beugst du dich, eine Beute deiner Schimären, über die Gosse, um dort zu trinken.

    Seine Seele spazierenführen

    Auf der Place Saint-Sulpice eine Frau: wie eine brave Kleinstädterin sieht sie aus; in Stutzhandschuhen aus Zwirn, eine goldene Kette über der Brust, daran eine Lorgnette, in dunkelblauem Tailleur unter einem altmodischen Hut, umkreist sie einen General in Zivil. Sie mag etwa vierzig Jahre alt sein. Er, hochgewachsen, Schnurrbart, gleichmütiger Blick unter Brauen von übertriebener Strenge, resignierter Mund, Rosette im Knopfloch, ist an die sechzig. Auf seinen Stock gestützt, scheint er auf den Autobus zu warten, und er steht da, als ginge ihn das gar nichts an, diese Frau, und trotzdem geht »das« nur ihn allein an, wenn diese Frau zumindest seine Frau, seine Schwester oder seine Tochter ist. Er überwacht sie von ferne, aus dem Augenwinkel, als ihr Beschützer. Seit drei Tagen hat er alles aufgeboten, um sie im Haus zurückzuhalten, heute nachmittag aber, nach vier Uhr, hatte

Weitere Kostenlose Bücher