Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Jouhandeau
Vom Netzwerk:
entgegenzögen, Sie könnten nicht anders, auch Sie wären glücklich, ihnen zu dienen.«

    Eine Klosterfrau, Rue Raynouard

    In der Rue Raynouard begegnet mir des öferen eine Klosterfrau, vom Orden des heiligen Vinzenz von Paul, ebenso schön wie die Mediceische Venus. Eine weiße Schürze umgebunden, die ihre üppigen Formen verdeutlicht, greif sie mit der Hand wie selbstverständlich vor ihr Geschlecht, vermutlich, um ganz leicht ihr Gewand zu raffen, auf dessen Saum sie zu treten fürchtet, obwohl sie kaum den Boden zu berühren scheint. Aufrechten Hauptes, indes ihre Blicke unbeirrbar über einen hinwegstreichen, wie ein Taubenschwarm.

    Zwei Schüler in der Metro

    Zwei Schüler von vierzehn bis fünfzehn Jahren auf der Heimfahrt vom Unterricht: bleich, ärmlich gekleidet, hocken sie Seite an Seite in der Metro und schwatzen um die Wette wie ein Mühlwerk, als zwei hübsche Personen, jung, elegant, in Pelzwerk und Federschmuck, einsteigen und unweit von ihnen Aufstellung nehmen, in der zuversichtlichen Hoffnung, sie von ihren Plätzen zu bewegen. Mitnichten. Ganz in ihr Gespräch vertief, scheinen die Jungen sie nicht zu sehen. Mehrmals hat man schon vergebens versucht, sich ihnen bemerklich zu machen; endlich entschließen die beiden Schönen sich, die öffentliche Verachtung auf sie zu lenken. Da, als wollte er den Streit schlichten, dessen Phasen er bis ins einzelne verfolgt hat, nähert ein Alter sich und schreit die Unverschämten an (was ihm als Beifall ein schallendes Gelächter einträgt):
    »He, ihr Burschen, ihr braucht wohl eine Extraeinladung, um diesen beiden Kranken da euren Platz frei zu machen?«

    Ein Neger steigt in den Omnibus

    Ein Neger steigt in den Omnibus.
    Ein Kind zu seiner Mutter: »Der ist aber nicht schön.« »Doch, mein Junge, da, wo er daheim ist.«

    Die blinden Frauen

    An der Place Pereire steigen in die Ringbahn zwei unförmige junge Frauen, mit Mondgesichtern, in dunklen Kleidern, einen Strauß ins Haar gesteckt. Am Trocadéro zwei weitere, wieder zwei in Passy und so fort. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Doch sah es so aus, als rede jede mit sich selber. Ihre Lippen waren in ständiger Bewegung, aber ihre Züge blieben ausdruckslos. Waren das Roboter, Puppen? Nein, gewisse Anzeichen ließen erkennen, daß es sich um leibhafige Lebewesen handelte. Aber wessen Hände hatten sie mit diesen häßlichen Pfingstrosen gekränzt und sie so ungeschickt geschminkt, daß es schwerfiel, sich eine groteskere, grausamere Maskerade vorzustellen? Einige Ältere trugen ein Gewinde aus echten Rosen um ihre matronenhafe Taille: wie beschwipste Toilettenfrauen sahen sie aus, wie Marienkinder aus einer Provinzstadt, die sich in Bacchantinnen, oder wie Rosenmädchen vom Dorf, die sich in Furien verwandelt hatten. Kein Lächeln und etwas Störrisches, etwas so störrisch Hartes in den Gesichtern. Wie verhext von diesen sonderbaren Gestalten, glaubte ich mich in ein Land blickloser Menschen versetzt, als ich erfuhr, daß es sich in der Tat um Blinde handelte, die sich zur Hochzeit einer ihrer Gefährtinnen begaben. Gewiß, wenn sie sich gesehen hätten, wenn sie sich nur einen Augenblick so herausstaffiert hätten sehen können, wie ich sie sah, sie wären gestorben vor Schrecken, vor Bestürzung oder vor Scham.

    Die Amsel

    Ein Mann von kläglichem Aussehen sitzt eines Sonntags auf einer Bank der Avenue des Ternes. Es sieht aus, als bewache er etwas von weitem. Ich folge seinem Blick und entdecke ihm gegenüber, an einem Baum aufgehangen, einen winzigen Käfig, in dem eine Amsel hüpf und singt.
    »Ist sie zu verkaufen?« frage ich.
    »Oh! nein! Monsieur. Was würde aus mir ohne sie. Sie ist die Freude meines Lebens, mein einziger Freund auf der Welt. Aber Sie möchten sicher wissen, warum wir beide uns hier aufalten. Das hat folgenden Grund. Ich wohne zu ebener Erde in einem feuchten Hof, in den niemals das Tageslicht fällt. Da führe ich sie denn Sonntag nachmittags mit mir über den Boulevard spazieren, und von Zeit zu Zeit hänge ich sie in die Sonne. Schauen Sie nur, wie sie sich freut.«

    Ein Kanalarbeiter, Rue Raynouard

    Heute, Rue Raynouard, zwei Uhr mittags, im Juli, alles wie ausgestorben. Nur ein Kanalreiniger stand dort, ein wahrer Herkules, mit nacktem Oberkörper, am Gürtel die angezündete Lampe. Ehe er unter die Erde hinabstieg, mimte er einen Boxkampf, wie er ihn wohl am Vortag gesehen hatte. Doch augenscheinlich nur zu seinem eigenen Vergnügen. Sein Gefährte

Weitere Kostenlose Bücher