Parker Pyne ermittelt
sprechen.«
»Wussten Sie, Lady Esther, dass der junge Rousseau in Muriel verliebt war? Er ist ein sentimentaler, junger Mann. Die Erinnerung an sie bedeutet ihm sehr viel.«
»Ist das wahr?« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Wie war sie so?«
»Was meinen Sie, wie war sie so? Woher sollte ich das wissen?«
»Sie müssen sie sich doch ab und zu mal angesehen haben?«, sagte Mr Parker Pyne sanft.
»Ach, das! Sie war eine recht nett aussehende, junge Frau.«
»Etwa in Ihrem Alter?«
»In etwa.« Sie hielt inne, und dann sagte sie:
»Warum glauben Sie, dass Rousseau sich für sie interessierte?«
»Weil er es mir erzählt hat. Ja, genau, und zwar unmissverständlich. Wie ich schon sagte, er ist ein sentimentaler, junger Mann. Er war froh, sich mir anvertrauen zu können. Es hat ihn hart getroffen, dass sie auf diese Art und Weise gestorben ist.«
Lady Esther sprang auf. »Glauben Sie, ich hätte sie ermordet?«
Mr Parker Pyne sprang nicht auf. Er war nicht der sprunghafte Typ.
»Nein, mein liebes Kind«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass Sie sie umgebracht haben, und deshalb halte es ich für das Beste, wenn Sie mit Ihrer Schauspielerei aufhören und so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren.«
»Was meinen Sie mit Schauspielerei?«
»Die Wahrheit ist, dass Sie die Nerven verloren haben. Ja, das haben Sie. Sie haben wirklich die Nerven verloren. Sie glaubten, man würde Sie des Mordes an Ihrer Arbeitgeberin bezichtigen.«
Die junge Frau zuckte plötzlich zusammen.
Mr Parker Pyne fuhr fort. »Sie sind nicht Lady Esther Carr. Ich wusste das schon, bevor ich hierherkam, aber ich wollte Sie noch auf die Probe stellen, um sicher zu sein.« Er lächelte über das ganze Gesicht, freundlich und wohlwollend. »Als ich meinen kleinen Monolog gehalten habe, habe ich Sie beobachtet, und Sie haben jedes Mal wie Muriel King reagiert, nicht wie Esther Carr. Die günstigen Läden, die Kinos, die neuen, grünen Vororte, nach Hause fahren mit Bus und Bahn – Sie haben auf all das reagiert. Der Klatsch von den Landsitzen, die neuen Nachtclubs, das Geplapper in Mayfair, die Gesellschaft beim Pferderennen – das hat Ihnen alles nichts gesagt.«
Seine Stimme wurde noch überzeugender und klang noch väterlicher. »Setzen Sie sich hin, und erzählen Sie mir alles. Sie haben Lady Esther nicht ermordet, aber Sie fürchteten, dieses Verbrechens angeklagt zu werden. Erzählen Sie mir einfach, was geschehen ist.«
Sie atmete tief ein; dann ließ sie sich wieder auf den Diwan sinken und begann zu reden. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.
»Ich muss mit dem – Anfang beginnen. Ich – ich hatte Angst vor ihr. Sie war verrückt – nicht vollkommen verrückt – nur ein bisschen. Sie hat mich hierhergebracht. Ich war ganz närrisch, so begeistert war ich; ich dachte, das wäre alles so romantisch. Ich kleiner Dummkopf. Das war ich damals, ein kleiner Dummkopf. Es ging damals irgendwie um einen Chauffeur. Sie war mannstoll – völlig mannstoll. Er wollte mit ihr nichts zu tun haben, und das kam heraus; ihre Freunde haben es herausgefunden und sich totgelacht. Und sie hat sich von ihrer Familie losgesagt und ist hierhergekommen.«
»Das war alles nur Getue, um das Gesicht zu wahren – die Einsamkeit der Wüste – das ganze Zeug. Sie hätte das eine ganze Zeit lang durchgezogen und wäre dann zurückgekehrt. Aber sie wurde immer seltsamer. Und dann war da dieser Pilot. Sie – sie hat an ihm Gefallen gefunden. Er kam hierher, um mich aufzusuchen, und sie dachte – Nun ja, Sie verstehen das sicher. Aber er muss es ihr doch klargemacht haben…«
»Und dann hat sie sich plötzlich gegen mich gewandt. Sie war furchtbar, hat mir Angst eingejagt. Sie sagte, ich würde niemals wieder nach Hause kommen. Sie sagte, ich wäre in ihrer Macht. Sie sagte, ich wäre eine Sklavin. Nur das – eine Sklavin. Sie entschiede über meinen Tod und mein Leben.«
Mr Parker Pyne nickte. Er ahnte, wie sich die Situation weiterentwickelte. Lady Esther, die langsam den Verstand verlor, wie schon andere Familienmitglieder zuvor, und das eingeschüchterte Mädchen, völlig naiv und weltfremd, das alles glaubte, was man ihm sagte.
»Aber eines Tages ist irgendetwas in mir geplatzt. Ich habe mich gegen sie gewehrt. Ich habe ihr gesagt, wenn es darauf ankäme, dann wäre ich stärker als sie. Ich sagte ihr, ich würde sie auf die Steine hinunterwerfen. Sie hatte Angst, wirklich Angst. Ich nehme an, sie hatte mich immer nur als
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